Klima

Die Analyse

Das Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, war der Durchbruch bei der Klima­konferenz von Paris. Doch die deutsche Politik versagt seitdem skandalös, erklärt Martin Kaiser, neuer Greenpeace-Geschäftsführer für Kampagnen
Martin Kaiser war Leiter der internationalen Klimapolitik von Greenpeace. Im Oktober rückte er in die Geschäftsführung auf.
Martin Kaiser war Leiter der internationalen Klimapolitik von Greenpeace. Im Oktober rückte er in die Geschäftsführung auf.

Martin, du warst bei den Klimaverhandlungen in Paris. Welche Atmosphäre hast du dort gespürt? Es war eine höchst angespannte Stimmung. Allen war klar, dass es endlich eine globale Antwort auf den Klimawandel geben muss. Es war ein bewegender Moment, als am Ende alle zugestimmt haben, sogar die größten CO2-Emittenten USA und China.

Wie sieht es ein Jahr später aus? Viele Länder haben das Abkommen tatsächlich ratifiziert. Inzwischen ist so gut wie sicher, dass es noch in diesem Jahr in Kraft tritt. Wenn man jedoch nach Europa und spe­ziell nach Deutschland blickt, sieht man, dass die Politik sich nicht traut, klare Vorgaben zu machen.

In Paris hat sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in die vorderste Reihe der weltweiten Klimaschützer gestellt. Steht sie dort nicht mehr? Die Bundesregierung versteht es sehr gut, ihre rückwärtsgewandte Klimapolitik in ein positives Licht zu rücken. Sie profitiert dabei noch von den Anfangserfolgen der Energiewende. Doch die aktuellen Diskussionen um den deutschen Klimaschutzplan 2050 zeigen die Diskrepanz zwischen Merkels internationaler Schaufensterpolitik und ihren konkreten Taten. Vor Paris war der Beschluss der G7 im bayerischen Elmau, in Zukunft auf Kohle und Öl zu verzichten, ein wichtiger Meilenstein. Aber dieser Beschluss muss auch um­gesetzt werden. Stattdessen ist der Plan für 2050 ein Abgesang der deutschen Klimaschutzpolitik.

Was ist schiefgelaufen?  Das Umweltministerium hatte im Vorfeld die Zivilgesellschaft bei der Erarbeitung des Klimaschutzplanes beteiligt. Auch Greenpeace war dabei. Wir haben konkrete Vorschläge entwickelt, wie die einzelnen Sektoren Industrie, Landwirtschaft, Verkehr und Gebäude bis Mitte des Jahr­hunderts ohne Emissionen aus­kommen könnten. Von den guten Ansätzen ist nichts übrig geblieben.

„Wir brauchen einen Kohleausstieg bis spätestens 2035.“

Greenpeace-Aktivisten protestieren über dem Braunkohletage­bau Welzow-Süd in der Lausitz.
Greenpeace-Aktivisten protestieren über dem Braunkohletage­bau Welzow-Süd in der Lausitz.

Was wurde gestrichen? Das Kanzleramt hat einen Zeitplan für den Kohle­ausstieg gestrichen – trotz der An­kündigung von Elmau. Auch fällt nun weg, dass bis 2030 die meisten Neuwagen mit umweltfreundlichen Antrieben fahren sollen. Es fehlt die Empfehlung, den Fleischkonsum bis 2050 zu reduzieren – obwohl die Massentierhaltung ein Haupttreiber des Klimawandels ist. Es gibt nun keine konkreten Zielvorgaben, wie viel CO2 jeder einzelne Sektor einsparen soll. Jetzt kann jeder mit dem Finger auf den anderen zeigen, ohne selbst etwas tun zu müssen.

Was müsste die Bundesregierung tun, um die Klimaziele zu erreichen? Wir brauchen einen Kohleausstieg bis spätestens 2035. Der Verbrennungs­motor bei Neuwagen muss ab 2025 Geschichte sein. Die Landwirtschaft muss sich viel stärker hin zu ökologischem Anbau entwickeln. Und die Ausbeutung unserer Wälder muss sofort gestoppt werden. Sie sind ein zentraler Speicher von CO2.

Im November findet in Marrakesch die nächste Klimakonferenz statt. Wie geht es dort weiter? Für die Region ist die Konferenz sehr wichtig. Es wird besprochen, wie die am meisten vom Klimawandel betroffenen Länder unterstützt werden können. Das Gastgeberland Marokko ist dabei ein gutes Vorbild, wie das Pariser Abkommen umgesetzt werden könnte. Es ist ein Land mit viel Sonneneinstrahlung, das sehr gut auf Erneuerbare Energien umgesattelt hat.

Was War & Was Kommt

WAS WAR – Die Energiegewinnung mit fossilen Brennstoffen verursacht den Klimawandel wesentlich. Doch bis vor wenigen Jahren schien der Ausstieg aus der Kohle undenkbar. 2008 rüttelte Greenpeace an diesem Tabu – und legte den Entwurf für ein Kohleausstiegsgesetz in Deutschland vor. Seitdem ist das Thema auf die Tagesordnung der internationalen Politik gelangt, bis hin zum Dekarbonisierungs-Versprechen, das die Regierungs­chefs im Juni 2015 auf dem G7-Gipfel in Elmau gaben.

Im Dezember 2015 einigten sich dann die Teilnehmer der Weltklimakonferenz in Paris auf das Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. Das Ziel ist ambitionierter als zuvor denkbar schien – mit der Folge, dass auch Deutschland seinen Klimaschutz anpassen muss. Wie das gelingen kann, hat Greenpeace schon frühzeitig vorgerechnet und bereits im Februar 2016 eine entsprechende Studie vorgelegt

WAS KOMMT – Bis 2018 will der Weltklimarat einen Sonderreport vorlegen, wie das 1,5-Grad-Ziel erreicht werden kann. Zwei Jahre haben die Nationalstaaten dann Zeit, die Vorschläge zu diskutieren, bis sie 2020 schließlich die Umsetzungsrichtlinien erarbeitet haben müssen. Greenpeace wird diesen Prozess intensiv begleiten – vor und hinter den Kulissen, beispielsweise mit Kampagnen zur Mobilität in Städten, zum Kohleausstieg oder zur Beteiligung der Zivilgesellschaft an der deutschen Klimapolitik.