Greenpeace ist eine Kampagnenorganisation. Was war denn 2014 der Auslöser dafür, in die Bildungsarbeit einzusteigen?
Dietmar: Ohne Bildung werden wir keines der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele erreichen. Deshalb haben wir unsere Greenpeace-Themen für die Schulen aufbereitet. Außerdem gab es immer wieder Anfragen von Fördernden, die selbst unterrichten. Mit Hilfe einer großzügigen Unterstützung der Deutschen Postcode Lotterie konnten wir richtig durchstarten.
Wie sieht euer Angebot aus?
Steffi: Wir unterstützen die Schulen bei der Transformation, wir nehmen sie als Ganzes in den Blick. Insbesondere schauen wir auf die Unterrichtsentwicklung und ganzheitliche Schulentwicklung, also auch Schulkultur oder nachhaltige Schulgebäude. Wir bilden Lehrkräfte fort und weiter, informieren auf Schulmessen und haben inzwischen 73 Unterrichtsmaterialien erstellt, um die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) mit Leben zu füllen. Einige sind ganz klassisch, andere sehr innovativ. Dazu gehört etwa unser „KlimaKit“, mit dem sich Schüler:innen auf eine Lernreise begeben und sich fragen können: Was macht Hoffnung? Was möchte ich verändern? Was kann ich tun? Um allen Kindern und Jugendlichen die Chance zu geben, ihre Talente zu entwickeln, haben wir damit begonnen, die Unterrichtsmaterialien nicht nur altersgerecht, sondern auch inklusiv zu gestalten – etwa ergänzend in Deutsch als Zweitsprache, in vereinfachter Sprache und in Gebärdensprache.
Wie kommt der nachhaltige Stoff an?
Dietmar: Bisher haben wir mit unserer Arbeit 240.000 Lehrende und rund sechs Millionen Lernende erreicht. Das ist fantastisch! Und auch unsere Fördernden schätzen unsere Arbeit – nicht selten bekommen wir Spenden gezielt für die Greenpeace-Bildungsprojekte.
Warum ist Bildungsarbeit so wichtig?
Steffi: Bildung ist das Fundament, die Grundlage für Veränderung. Das gilt auch für die Nachhaltigkeit. Nehmen wir unser Projekt „Schools for Earth“, das Schulen auf dem Weg Richtung Klimaneutralität und Nachhaltigkeit begleitet. Eine Schulgemeinschaft kann sehr viel tun, um CO2 einzusparen. Wenn etwa gesundheitsförderliche und nachhaltige Ernährung auf dem Stundenplan steht, sollte in der Mensa auch gesundes, klimafreundliches Essen aufgetischt werden. Genau darum geht es: Leben, was gelernt wird, das Gelernte direkt am Lern- und Lebensort Schule umsetzen. Dabei lernen Schüler:innen empathisch zu sein, kritisch zu denken, kreativ und im Team erarbeitete Lösungen umzusetzen, sie erleben so Selbstwirksamkeit. Auf Augenhöhe miteinander umzugehen, gemeinschaftlich und im demokratischen Miteinander zu handeln und zu merken, dass jede und jeder Einzelne etwas verändern kann, ist unglaublich wichtig – gerade in Krisenzeiten. In zehn oder 15 Jahren tragen diese Menschen Verantwortung, und sie können die Welt schon jetzt zukunftsfähig gestalten.
Was zählt zu euren Highlights?
Steffi: Auf jeden Fall unser Projekt „Schools for Earth“ mit seiner langfristigen, transformativen Wirkung. Aber wir sind auch stolz darauf, dass wir unglaublich schnell auf aktuelle Ereignisse reagieren können. Noch während der jüngsten Flutkatastrophe in Mittel- und Osteuropa haben wir ein Unterrichtsmaterial dazu veröffentlicht. Oder unsere Kooperation mit der Public Climate School. Gemeinsam haben wir das Format „Lessons for…“ entwickelt und konnten so zum Beispiel anlässlich des Angriffskriegs gegen die Ukraine hochrangige Expertise live als Stream für den Unterricht anbieten, samt didaktischem Begleitmaterial.
Die Zertifizierung mit dem ,Schools for Earth‘- Schullabel bedeutet uns unheimlich viel. Wir stehen als Schule für eine inklusive und klimaverantwortliche Gesellschaft.
Ihr wollt auch durch politische Arbeit Veränderungen bewirken. Was ist euch wichtig?
Dietmar: Bildungskarrieren hängen noch immer vom sozialen Status der Eltern ab. In diesem ungerechten Bildungssystem fühlen sich viele abgehängt, das kann zu einer Gefahr für die Demokratie werden. Das muss sich dringend ändern. Deshalb hat sich inzwischen eine große Bewegung formiert, die die Bildungswende einfordert: Schulen sollen noch viel stärker zu Gestaltungs- und Handlungsstätten, zu Transformationsorten werden.
Steffi: Kinder sollen anders lernen und in Diskussions- und Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Lehrkräfte begleiten diese partizipativen Lernprozesse und stärken so die Kompetenzen der Kinder. Die brauchen sie, um kreativ und lösungsorientiert Probleme und große Herausforderungen zu meistern.
Wie schwierig ist es, das Bildungssystem zu transformieren?
Dietmar: Das ist ein dickes Brett. Wir müssen dringend dahin kommen, dass die Bundesländer miteinander und nicht gegeneinander Bildungspolitik machen. Es gibt Parteien und Scharfmacher, die junge Menschen über soziale Medien massiv manipulieren, da müssen wir gegenhalten. Denn nur, wer etwas versteht und die Ratlosigkeit überwindet, wird sich für gesellschaftliches Miteinander, Demokratie und Umweltschutz engagieren.
Steffi: Ein Großteil der Politik hat leider noch immer nicht verstanden, dass wir uns in einer tiefen Bildungskrise befinden – und wie wichtig es ist, in die Bildung zu investieren.
Dietmar: Das bestätigt auch der nationale Bildungsbericht 2024. Die Mittel reichen bei weitem nicht aus, um den Herausforderungen zu begegnen. Da können und müssen die politisch Verantwortlichen deutlich mehr tun.
Wenn ihr an eurer Schule etwas seht, was ihr verändern wollt, sprecht es an, dann kann es auch verändert werden.
Was habt ihr mit eurer politischen Bildungsarbeit konkret erreicht?
Dietmar: BNE ist inzwischen in sechs Bundesländern in der Lehrkräfteausbildung stärker verankert – dazu haben wir beigetragen. Wir sind nicht nur Mitglied der Nationalen Plattform, dem politischen Lenkungsgremium für BNE auf Bundesebene, sondern arbeiten auch auf Länderebene mit. In Hamburg beispielsweise haben wir beim BNE-Masterplan maßgeblich mitgewirkt, in Mecklenburg-Vorpommern sitzen wir auch mit am Tisch. Und wir haben die erste Jugendbeteiligung auf Bundesebene durchgesetzt. Die UNESCO und das Bundesministerium für Bildung und Forschung haben uns die „Nationale Auszeichnung BNE“ verliehen – das verschafft definitiv mehr Gehör.
Welche Zukunftsprojekte könnt ihr euch vorstellen?
Dietmar: Was wir mit „Schools for Earth“ beabsichtigen, ist das größte und wirkungsmächtigste Zukunftsprojekt überhaupt: Schulen werden zum Abbild einer nachhaltigen, gerechten und inklusiven Welt. Und daran haben alle mitgewirkt, das ist demokratische Teilhabe. Vielleicht macht unsere Arbeit ja auch in anderen Ländern Schule. Das wäre schön.