Sanft schaukelt die „Arctic Sunrise“ an einem sonnigen Septembertag im Hamburger Hafen. Greenpeace hat zum Open Boat eingeladen. Im Innern des Schiffes zeigt Daniela von Schaper Fotos von skurrilen Wesen, die in tausenden Metern Tiefe im Meer leben. Das Publikum staunt und ist fasziniert von leuchtenden und einzigartigen Geschöpfen. Gespannt hört es zu, was die Meeresexpertin, die soeben aus der norwegischen Arktis zurückgekommen ist, erzählt. Zum Beispiel, dass die Crew das Schiff „Waschmaschine“ nennt, weil es im Sturm stark hin und her schaukelt – selbst Daniela, die es gewohnt ist, auf dem Wasser zu sein, ist diesmal seekrank geworden. Mit einer Armbewegung wischt sie diese Erfahrung weg und kommt zum Kern der Sache: „Die Menschheit steht kurz davor, den letzten und zugleich größten unberührten Lebensraum der Erde zu vernichten. In kurzer Zeit wäre am Meeresgrund zerstört, was in Millionen von Jahren entstanden ist.“ Daniela registriert nachdenkliche Blicke und nimmt die Zuhörenden mit auf die Expedition in den Norden Norwegens.
Mit zwei Schiffen, der „Witness“ und der „Arctic Sunrise“, war Greenpeace im August und September 2024 zusammen mit Forschungsteams zwischen Spitzbergen und Island vor Ort, um die Artenvielfalt in den arktischen Gewässern zu dokumentieren. Mithilfe von Unterwassermikrofonen gelang es den Crews nachzuweisen, dass dort gefährdete Walarten wie etwa Finn- oder Pottwale leben. Wale sorgen in den Ozeanen durch ihr Ab- und Auftauchen für eine Durchmischung der Wasserschichten. So werden auch wichtige Nährstoffe aus den Tiefen nach oben transportiert. In der Tiefsee, wo kein Licht hinreicht und der Druck unvorstellbar groß ist, existieren Ökosysteme, die kaum wissenschaftlich beschrieben sind. So ist zum Beispiel noch völlig unerforscht, wie diese Systeme zusammenhängen und welche klimaschädlichen Folgen der Abbau von Rohstoffen auf dem Meeresgrund durch die Freisetzung von Kohlenstoff haben könnte. In der Tiefsee gibt es über Millionen Jahre entstandene, metallische Knollen, die die Tiefseebergbauindustrie ausbeuten will. Kürzlich entdeckten Forscher:innen, dass diese Manganknollen eine Schlüsselrolle bei der Sauerstoffproduktion ohne Photosynthese in der Tiefsee spielen könnten.
Diese Erkenntnis hat die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) aufhorchen lassen. Die durch das UN-Seerechtsübereinkommen gegründete Organisation verwaltet und reguliert die Aktivitäten am Tiefseeboden und soll auch den Schutz der einzigartigen Tiefseeökosysteme sicherstellen. Daniela war im Sommer 2024 als Greenpeace-Beobachterin selbst bei den Verhandlungen der ISA in Jamaika dabei. Die Staaten des ISA-Rats diskutieren derzeit über den sogenannten Mining Code – ein Regelwerk, das festlegen soll, unter welchen Bedingungen Eingriffe am Meeresgrund stattfinden könnten. „Die Verabschiedung des Mining Codes wäre ein Irrweg“, sagt die Meeresexpertin, „denn es gibt keinen nachhaltigen Tiefseebergbau.“ Immerhin 32 Staaten befürworten inzwischen ein Moratorium oder zumindest eine vorsorgliche Pause, darunter Deutschland, bis die Auswirkungen des Tiefseebergbaus geklärt sind. Um den gefährlichen Eingriff in dieses sensible Ökosystem tatsächlich zu stoppen, müssen sich die ISA-Mitgliedsstaaten für ein globales Moratorium aussprechen.
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Die Meere sind der Ursprung des Lebens. Sie liefern uns Sauerstoff und speichern große Mengen an Kohlenstoff. Gemeinsam können wir uns dafür einsetzen, dass mindestens 30 Prozent der Weltmeere inklusive der bedrohten Tiefsee unter Schutz gestellt werden.
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Norwegen will nicht auf die ISA-Entscheidung warten, sondern stellt die Weichen auf nationaler Ebene: In seinen Hoheitsgewässern zwischen Spitzbergen und Island wollen norwegische Unternehmen vor allem Kobaltkrusten abbauen. Riesige Maschinen fräsen dabei die oberste Schicht des Meeresbodens ab und zerstören unwiderruflich alles, was darauf lebt. Außerdem hat es die Branche auf sogenannte „Schwarze Raucher“ abgesehen, das sind heiße Quellen am Meeresboden. Das heiße Wasser enthält einen Cocktail aus verschiedenen chemischen Elementen. Besonders viel Schwefel und Eisen, aber auch Kupfer, Zink und andere Mineralien werden hier freigesetzt. Die gelösten Stoffe scheiden sich durch das wesentlich kältere Meerwasser ab und bilden Schornsteine, die sogar bis zu 30 Meter hoch werden können. Die Schwarzen Raucher geben vielen Arten ein Zuhause, beispielsweise Würmern und Mikroorganismen.
Norwegen setzt alles daran, um schnellstmöglich mit dem Tiefseebergbau in der Arktis zu starten. Allerdings wächst der weltweite Protest und zeigt nun erste Wirkung. Im Rahmen der letzten Haushaltsabstimmung legte die norwegische Regierung die für Frühjahr 2025 geplanten ersten Lizenzvergaben für den Tiefseebergbau in der Arktis vorerst auf Eis. Damit ist der Startschuss bis Ende 2025 aufgeschoben, allerdings will der norwegische Premierminister am Tiefseebergbau ab 2026 festhalten. Dennoch ist der vorläufige Stopp für Daniela ein hoffnungsvoller Schritt im Kampf gegen den Tiefseebergbau in der Arktis. Das ist auch ein Erfolg der Greenpeace-Arbeit gegen die Tiefseebergbaupläne: Proteste von Greenpeace-Aktiven vor der norwegischen Küste, Vorträge über Artenvielfalt im tiefen Dunkel oder über ökologische Folgen durch den Raubbau am Meeresboden. Es braucht viel Aufklärungsarbeit: Laut einer Umfrage im Auftrag von Greenpeace wissen lediglich 14 Prozent der Befragten, was Tiefseebergbau ist. Allerdings liegt gleichzeitig 87 Prozent der Befragten der Meeresschutz am Herzen.
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„Wenn wir jetzt die Tiefsee ausbeuten, können wir noch ein paar Jahre so weitermachen und über unsere planetaren Grenzen leben. Danach stehen wir aber wieder vor demselben Problem.“ Daniela stellt klar: „Die Tiefseebergbaulobby missbraucht die Energiewende, um ihre zerstörerischen Pläne zu rechtfertigen. Der Bedarf an Rohstoffen für E-Autos und eine grüne Verkehrs- und Energiewende lässt sich auch ohne die Ausbeutung der Tiefsee decken.“ Sichtlich entrüstet fragt sie in die Runde: „Wie kurzsichtig ist es, nicht gleich heute auf Kreislaufwirtschaft, nachhaltiges Produktdesign und effizientes Recycling umzustellen, anstatt erst noch die Tiefsee leerzuräumen – mit unabsehbaren Folgen?“ Applaus erfüllt den Schiffsbauch der „Arctic Sunrise“. Daniela verteilt druckfrische Reports über die Biodiversität in der Arktis und bedankt sich für die Aufmerksamkeit. Greenpeace wird am Thema dran bleiben. Daniela hofft, dass der Protest gegen Tiefseebergbau noch lauter wird, wenn mehr Menschen die Tiefsee kennenlernen und ihre wichtige Rolle im Meeresökosystem verstehen. Und sie erinnert ihre Zuhörenden daran, dass alle etwas dazu beitragen können, die Tiefsee zu retten – indem wir achtsam mit Ressourcen umgehen, technische Geräte länger nutzen und die Mobilitätswende aktiv unterstützen. Beim Verabschieden unterstreicht die Meeresexpertin erneut, dass Greenpeace mit Lobbyarbeit und Aktivitäten in vielen Ländern alles daransetzen wird, diese zerstörerischen Eingriffe am Meeresgrund zu verhindern: „Tiefseebergbau darf niemals starten!“
act.gp/41lQcGL
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