Julios Kontchou ist in Kamerun aufgewachsen. In seinem Stadtviertel stapelte sich entlang der Straßen Müll, Abwässer wurden ungeklärt in Flüsse eingeleitet und Pestizide auf Feldern von Menschen ohne Schutzanzüge ausgebracht. Schon als kleiner Junge spürte Julios, dass das nicht gut sein kann, weder für die Umwelt noch für die Menschen. Deshalb beschloss er, mithilfe der finanziellen Unterstützung seines Onkels, Biochemie zu studieren. Nach einem kurzen Zwischenstopp an einer südkoreanischen Hochschule bekam Julios schließlich einen Masterstudienplatz für Umwelttoxikologie an der Uni Duisburg-Essen. Dort büffelte er fortan Formeln, erstellte eigene Messreihen und untersuchte für seine Doktorarbeit in Ökotoxikologie die Sedimentverschmutzung von Fließgewässern durch Regenwasserabflüsse und deren Auswirkung auf Sedimentorganismen.
„Umweltschutz ist meine Leidenschaft“, sagt der Wissenschaftler, der seit zweieinhalb Jahren bei Greenpeace arbeitet. Seither ist er vor Ort, wenn der Verdacht besteht, dass Gefahrstoffe in die Umwelt gelangt sein könnten. Oder um im Nachhinein zu überprüfen, ob die Risiken gebannt sind. Zum Beispiel im Ahrtal: Am zweiten Jahrestag der Hochwasserkatastrophe half der Rapid-Response-Experte beim Aufräumen im Naturschutzgebiet Ahrmündung. Noch immer fand sich in dem zuvor überschwemmten Gebiet viel Plastikmüll. Und natürlich nahm er auch Wasser- und Bodenproben. Zum Glück entdeckte er darin keine Giftstoffe, deren Werte über den Umweltqualitätsgrenzwerten lagen.
Anders als in der Oder 2022. Nach dem massenhaften Fischsterben schnappte sich Julios sein Mess-Equipment und fuhr mit seinem Team an die Ufer des deutsch-polnischen Flusses. Schnell war klar, dass der hohe Salzgehalt der Oder zur massenhaften Vermehrung einer giftigen Alge geführt hatte, die so viele Fische tötete. Julios konnte aufgrund seiner Analyse die Verursacher benennen: Kohlebergwerke, die an einem Nebenfluss der Oder salzhaltige Abwässer einleiten. „Leider hat sich daran bis heute nichts geändert, eine solche Umweltkatastrophe kann jederzeit wieder passieren“, sagt Julios, deshalb sei es so wichtig, weiter Druck auf die Politik zu machen. Ende Oktober berichtete Greenpeace Polen, dass 99 Prozent der polnischen Flüsse in schlechtem Zustand seien. Da das Einleiten von salzhaltigem Abwasser gegen EU-Recht verstößt, reichte das Länderbüro Beschwerde bei der EU-Kommission ein.
Mikroplastik geht nicht einfach weg. Genauso wenig wie Ewigkeitschemikalien. Niemand weiß, welche und wie große Schäden sie in Zukunft anrichten.
Weil bei Messfehlern die Glaubwürdigkeit der Organisation auf dem Spiel stünde, legt Julios größten Wert auf eine saubere, gewartete und einsatzbereite Ausrüstung. Wissenschaftliche Standards, zuverlässige Labore, die enge Zusammenarbeit mit der Greenpeace-Science-Unit im englischen Exceter sowie das Vier-Augen-Prinzip nimmt er ebenfalls sehr ernst. „Bei Probenahmen wird jeder Schritt protokolliert, und wir sind immer mindestens zu zweit“, erzählt der 39-Jährige: „Sämtliche Analyseergebnisse werden vor der Veröffentlichung ebenfalls von mindestens zwei Fachleuten gecheckt.“
Vor kurzem war der inzwischen zweifache Familienvater am Rhein im Einsatz. In Höhe des Chemparks Dormagen wollte Julios zusammen mit Greenpeace-Aktiven die Mikroplastikbelastung messen. Nach Auswertung aller Daten kam das Team um den Ökotoxikologen zu dem beunruhigenden Schluss, dass sich die Belastung im Vergleich zu vor drei Jahren nicht verbessert hat – damals hatte ein Greenpeace-Team schon einmal an gleicher Stelle Proben genommen. Seither ist nichts geschehen, weder Behörden noch Politik beendeten den Missstand. „Wir bleiben dran und hoffen, einige Verursacher feststellen zu können“, sagt Julios, „dann gibt es keine Ausreden mehr, dann müssen die Behörden eingreifen.“ Inzwischen ist Mikroplastik überall: in Böden, in Flüssen, im menschlichen Körper, in unserem Blut. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, setzt der engagierte Experte auf die gerade verlängerten Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen, die bei erfolgreichem Abschluss eine weltweit verbindliche Vereinbarung zur Reduktion der Plastikproduktion festlegen sollen.
„Mikroplastik geht nicht einfach weg. Genauso wenig wie Ewigkeitschemikalien. Niemand weiß, welche und wie große Schäden sie in Zukunft anrichten“, sagt Julios. Vor allem bereiten ihm die per- und polyfluorierten Chemikalien, kurz PFAS, Kopfzerbrechen. Deshalb nahm Julios im November am Strand von St. Peter-Ording Proben vom Meeresschaum (Foto ganz oben), die er auf PFAS untersuchen lässt. Bisher hat die deutsche Regierung keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen, um PFAS auf nationaler Ebene zu regulieren, obwohl zunehmendes Wissen große Besorgnis über die Umwelt- und Gesundheitsrisiken dieser giftigen Stoffe auslöst. Dass die EU jetzt über einen Verbotsvorschlag von 10.000 PFAS diskutiert, freut den Ökotoxikologen. Dieser Schritt zwinge die Industrie, nach umweltfreundlichen und ungiftigen Alternativen zu forschen, davon ist er überzeugt. Im nächsten Moment zeigt er auf seine grüne Greenpeace-Jacke und freut sich: „Unsere Jacken sind giftstofffrei. Wir zeigen, dass es geht!“. Mit seinen Tests will Julios dazu beitragen, den Verbotsvorstoß der EU zu untermauern. „Wir müssen aufhören, solch gefährliche und ewig haltbare Chemikalien herzustellen. Ansonsten sieht die Zukunft, die wir den nächsten Generationen hinterlassen, ziemlich düster aus“, sagt Julios.
Ein Jahr nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipeline war er mit zur Explosionsstelle rausgefahren, um mit Kampfmittelräumteams zu untersuchen, ob langfristige Umweltschäden durch Spreng- oder Kampfstoffe zu beklagen sind. Nach der Arbeit konnte Julios auf der „Beluga II“ die bunte, internationale Atmosphäre genießen. „An Bord habe ich meine bislang beste Zeit bei Greenpeace erlebt“, sagt er. „Da merkt man mit jeder Faser, was Greenpeace ausmacht: engagierte, solidarische und mutige Leute aus aller Welt, die den Planeten retten wollen.“