BUNDESTAGSWAHL
Im September ist Bundestagswahl. Greenpeace nutzt den Wahlkampf, um den politischen Druck zu erhöhen. Vier Forderungen an die künftige Bundesregierung
Mitten in Berlin-Kreuzberg holen sich Greenpeace-Aktivisten ein Stück Straße zurück: In der Bergmannstraße, wo normalerweise Autos fahren und parken, verlegen sie Rollrasen. Passanten machen es sich auf Liegestühlen bequem und genießen das neue Naherholungsgebiet vor ihrer Haustür. „YoU-Turn the streets“ heißt die von Greenpeace initiierte Aktion, die für grünere Städte wirbt.
Denn mehr als 70 Prozent der Deutschen leben mittlerweile in Städten. Und vier von fünf Deutschen halten eine Neugestaltung der urbanen Zentren laut einer Greenpeace-Umfrage für wünschenswert – vorausgesetzt, Rad- und Fußwege sowie öffentliche Verkehrsmittel bilden ein so dichtes Netz, dass sie kaum noch auf ein Auto angewiesen wären. In Deutschland ist das mittlerweile vorstellbar: autofreie Innenstädte, elektrifizierter Nahverkehr zu erschwinglichen Preisen, gut ausgebaute Radwege und – als Konsequenz daraus – bessere Luft und mehr Platz.
Die Verkehrswende gehört zu den zentralen Forderungen von Greenpeace an die künftige Bundesregierung. Ebenso wie der Ausstieg aus der Kohlekraft, die Agrarwende und der Schutz der Meere. In diesen Bereichen der Umwelt- und Klimapolitik hat die derzeitige Bundesregierung schlichtweg nicht genug getan, obwohl es um die Zukunftsfähigkeit des Landes und das Los der kommenden Generationen geht. Stefan Krug, Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace, analysiert im Folgenden die Arbeit der Großen Koalition und erklärt die Forderungen und Kampagnen im Jahr der Bundestagswahl.
Seit Juni 2015 ist ein neues Elektromobilitätsgesetz in Kraft. Es sieht reservierte Parkplätze an Ladesäulen und reduzierte Parkgebühren für Fahrer von Elektrofahrzeugen vor. Darüber hinaus bekommen Käufer von E-Autos seit Sommer 2016 eine Prämie in Höhe von 4000 Euro und sind seit Ende des vergangenen Jahres zehn statt bisher fünf Jahre lang von der Kfz-Steuer befreit. Doch all diese Maßnahmen verfehlen ihre Wirkung: „Es ist einfach lächerlich, was die Bundesregierung in Sachen Elektromobilität unternimmt“, sagt Stefan Krug. „Allein aus industriepolitischen Gründen hält sie stur an den Verbrennungsmotoren fest. Das ist nicht nur schlecht für die Umwelt, es setzt auch die wirtschaftliche Zukunft der Automobilindustrie aufs Spiel.“ Greenpeace fordert deshalb eine klare Frist, damit sich die Industrie auf den Wandel einstellen kann: Ab 2025 darf kein Auto mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden. Das ist aber nur ein Teil der dringend notwendigen Verkehrswende. Vor allem für die urbanen Zentren muss die Regierung zukunftsfähige Mobilitätskonzepte auf den Weg bringen. „Die Verkehrswende ist eine große Baustelle, an die sich die künftige Regierung unbedingt heranwagen muss. Unter der Großen Koalition war kompletter Stillstand in der Verkehrspolitik“, sagt Krug.
Auch in der Landwirtschaft fällt die Bilanz der derzeitigen Regierung dürftig aus. „Die unionsdominierte Agrarpolitik für Großbetriebe, die eine desaströse Art der Naturnutzung mit sich bringt, muss dringend aufgebrochen werden“, sagt Krug. Eine echte Agrarwende müsse Tierhaltung und Fleischproduktion in den Fokus nehmen. Denn auf sie lassen sich viele Probleme der Landwirtschaft zurückführen: der massenhafte Anbau von Futtermitteln und die damit verbundene Abholzung von Regenwald, die hohen Treibhausgasemissionen, die Verschmutzung des Grundwassers mit Nitraten aus Düngemitteln, der viel zu hohe Einsatz von Antibiotika. Greenpeace setzt sich deshalb vor allem für eine Reduzierung der Tierbestände um ein Drittel bis 2030 ein. Gleichzeitig müssten die Qualitätsstandards in der Tierhaltung steigen, um qualvolle Mast und die Produktion von Billigfleisch und dessen Export zu stoppen. „Wir brauchen ein ganz neues Leitbild“, sagt Krug. Dazu gehört es auch, den Anteil der ökologischen Landwirtschaft von heute sieben Prozent bis 2020 auf 15 Prozent zu erhöhen.
Die zunehmende Vermüllung der Meere ist ein globales Problem. Doch Deutschland kann sowohl vor der eigenen Küste viel bewirken als auch eine Vorreiterrolle beim internationalen Meeresschutz einnehmen. Zwar steht bereits fast die Hälfte der Nord- und Ostsee offiziell unter Schutz – in der Realität hapert es jedoch an der Umsetzung. Insbesondere die Überfischung, Öl- und Gasförderungen sowie der Abbau von Sand und Kies müssten in diesen Gebieten konsequent verboten sein. International kommt es neben dem Schutz der Polargebiete, dem Kampf gegen die Überfischung und dem Walschutz vor allem darauf an, die Meere nicht weiter mit Plastikmüll zu fluten. Greenpeace arbeitet aktiv an dem Thema und unterstützt verschiedene Initiativen, die Plastikeinträge durch die Fischerei und von Land verhindern wollen.
Das nationale Klimaschutzziel zu erreichen, ist eine der zentralen Aufgaben der nächsten Bundesregierung. Letzte Untersuchungen zeigen, dass der Ausstoß von Treibhausgasen in Deutschland 2016 allen Bemühungen zum Trotz erneut zugenommen hat. Die Emissionen stiegen im Vergleich zum Vorjahr um etwa vier Millionen Tonnen Kohlendioxid auf rund 906 Millionen Tonnen. Das Ziel für 2020 liegt aber bei 750 Millionen Tonnen. Das ist nur zu erreichen, wenn die emissionsintensive Kohleverbrennung (1150 Gramm CO2 pro Kilowattstunde im Vergleich zu durchschnittlich 564 Gramm) durch eine umweltfreundliche Stromversorgung ersetzt wird. „Deutschland muss die Kohlekraftwerke mit einem klaren Ausstiegsfahrplan versehen“, sagt Stefan Krug, „stufenweise und für die Industrie kalkulierbar.“ Wann die einzelnen Kraftwerke nach Berechnungen von Greenpeace abgeschaltet werden sollten, sehen Sie auf der Karte unten. Zuletzt setzte sich Greenpeace vor allem für den Abbaustopp in der Lausitz und im Mitteldeutschen Revier ein. Zudem deckte Greenpeace auf, dass der Steuerzahler für die Renaturierung der Tagebaue ein finanzielles Milliardenrisiko trägt.
Greenpeace hat berechnet, welches Kohlekraftwerk in welchem Jahr abgeschaltet werden muss, damit Deutschland sein Klimaschutzziel erreicht. Die Karte zeigt die 20 leistungsstärksten Kraftwerke, teilweise mit mehreren Blöcken und jeweils unterschiedlichen Abschaltjahren. Die vollständige Liste finden Sie in der Studie „Klimaschutz durch Kohleausstieg“.
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