Wer heute über 40 ist, hat wahrscheinlich noch im Handarbeitsunterricht Kreuzstich geübt und seine Mutter großzügig mit gehäkelten Topflappen beschenkt. So haben Schüler wie selbstverständlich gelernt, mit Nadel und Faden umzugehen, haben verinnerlicht, dass Textilien nicht ein für alle Mal fertig aus der Fabrik kommen, sondern dass man sie flicken, gestalten und sogar selbst schneidern kann. Und sie wissen, was zu tun ist, wenn der Wintermantel einen Knopf verliert.
Mittlerweile droht dieses Wissen verlorenzugehen. So gab bei einer Umfrage in Großbritannien jeder Vierte an, keinen Knopf annähen zu können, jeder Zweite sah sich nicht in der Lage, ein Loch zu flicken oder einen Saum zu nähen. „Als Folge der massenhaften Verfügbarkeit von Billigmode hat eine ganze Generation diese Kompetenzen verloren“, sagt Kirsten Brodde, Textilexpertin von Greenpeace. In den 1980er Jahren noch habe die Post Punk-Szene ihre Kleidung selbst gestaltet und so ihrer Individualität Ausdruck verliehen. Heute hingegen finde jeder den gerade angesagten „Look“ vorgefertigt beim Mode-Discounter. Kleidung ist zur Wegwerfware geworden, das haben Greenpeace-Umfragen mehrfach belegt.
Kaufen – wegwerfen – kaufen: ein Teufelskreis
Die moderne Konsumgesellschaft hat einen Teufelskreis in Gang gesetzt, dem man sich nur schwer entziehen kann: Zunächst machten billige Waren es überflüssig, selbst Hand anzulegen. Im nächsten Schritt verloren wir das dazu nötige Wissen und damit den Respekt vor den Dingen: Dann haben wir keine Hemmungen mehr, ständig neue Dinge zu kaufen und sie immer kürzer zu nutzen. Und diese Wegwerfkultur hat als „Fast Fashion“ nicht bloß die Mode erfasst, sondern viele andere Sparten wie Elektronik, Inneneinrichtung, Spielwaren und Haushalt.
Seit Jahren kämpft Greenpeace für die Entgiftung der Textilindustrie. 80 globale Unternehmen und Händler – vom Sportartikler Adidas bis zum Discounter Aldi, vom Outdoor-Hersteller Vaude bis zur Luxusmarke Burberry – haben sich der Initiative angeschlossen und beschlossen, ihre Produktion zu entgiften. Greenpeace überprüft regelmäßig, ob den Worten auch Taten folgen und veröffentlicht Ranglisten von Unternehmen, die zeigen, wer wirklich Fortschritte macht und wer nicht. Parallel dazu arbeitet Greenpeace daran, Konsumalternativen wie Tauschen, Teilen oder Reparieren sichtbar und populär zu machen.
So wurde eine Konsumlawine in Gang gesetzt, die unseren Planeten zu ersticken droht. Sie heizt unseren Energieverbrauch an und damit das Klima auf, sie zerstört natürliche Landschaften, vergiftet die Meere, rottet Tier- und Pflanzenarten aus. Auch zahllose Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern zahlen einen hohen Preis – sei es die miserabel bezahlte Näherin in Bangladesch oder die Bevölkerung im kriegsgeplagten Kongo, wo nach dem Erz Coltan für elektronische Bauteile geschürft wird. Angesichts der enormen ökologischen und sozialen Kosten erscheint es umso perverser, dass Konsum uns nachweislich keine nachhaltige Befriedigung verschafft, sondern uns vielmehr in eine suchtartige Abhängigkeit treibt. Glück kann man halt nicht in Tüten kaufen.
Dem Trend vom Wegwerfen entgegenwirken
Trotzdem sind wir dem Kauf- und Wegwerfkarussell nicht hilflos ausgeliefert. Trends wie Näh- und Repaircafés, Bastelportale, Urban Gardening oder die technikaffine Maker-Bewegung beweisen, dass viele Menschen wieder ein Bedürfnis haben, der Entfremdung von den Dingen entgegenzuwirken. Ein gewaltiges Kursangebot unterweist Interessierte in Fertigkeiten aller Art – von Siebdrucken über die Herstellung von Naturseifen bis zum Bau des eigenen Fahrrads. „Man mag manche Resultate des Do-it-yourself-Eifers belächeln, doch liegt darin eine Chance, unser zerstörerisches Konsumverhalten zu ändern“, sagt Kirsten Brodde.
Denn wer einmal selbst einen Tisch oder ein Bett geschreinert hat, wird zweimal überlegen, bevor er sich einen Bausatz aus dem schwedischen Möbelhaus anschafft. Wer im Garten Salatköpfe gepflanzt, gehegt und gegen Schnecken verteidigt hat, wird zögern, Lebensmittel wegzuwerfen – weil er weiß, wie mühsam es sein kann, sie zu erzeugen.
„Make something“-Projekt von Greenpeace
Greenpeace setzt sich seit neuestem verstärkt für einen anderen Lebensstil ein, der achtsam mit Ressourcen umgeht. Unter dem Titel „Buy nothing, make something“ hat Greenpeace im Dezember 2017 ein weltweites Maker-Festival ausgerichtet. In 24 Weltstädten wie Berlin, Rom, Barcelona, Hongkong und Peking und deutschlandweit fanden über 100 Events statt und begeisterten Menschen, die mehr Spaß am Selbermachen haben, statt online und in Shopping-Malls nach Schnäppchen zu jagen. MAKE SOMETHING ist ein Projekt der Textilkampagne „Detox“ von Greenpeace für einen bewussten Umgang mit Mode.
Auch politisch müssen Anreize für einen nachhaltigen Konsum geschaffen werden. Greenpeace fordert, dass der Mehrwertsteuersatz für Reparaturen von 19 auf sieben Prozent gesenkt wird. Brodde: „Es liegt auf der Hand, dass das Flicken einer Hose oder die Reparatur eines defekten Toasters direkt dazu beiträgt, Rohstoffe und Energie zu sparen – und damit die Umwelt zu entlasten.“ Außerdem könnten Gemeinden wieder Gemeinschaftswerkstätten anbieten, wo mit Geräten und Werkzeugen aller Art gewartet, gepflegt und repariert wird. Selbst ein angenähter Knopf kann der erste Schritt zur Umstellung der eigenen Lebensgewohnheiten sein.