Gefährliche Brühe aus Tierfabriken

Landwirtschaft

Die industrielle Tierhaltung richtet große Schäden an – im Stall, im Boden und in den Meeren. Greenpeace begibt sich auf Spurensuche

Bei hohem Seegang durchpflügt das Greenpeace-Aktionsschiff Beluga II im Oktober die Ostsee zwischen Dänemark und Polen. Greenpeace-Chemieexperte Manfred Santen beobachtet die Wolken, denn er sehnt sich Regen herbei. Trotz des stürmischen Windes bleibt es an diesem Tag trocken, wie schon seit vielen Monaten. Für Santens geplante Wasseranalysen hat das Folgen: Ohne das Nass von oben wird sein Schnelltestgerät nichts messen können. Es braucht Regen, um beurteilen zu können, was an Düngerrückständen aus der Landwirtschaft in die Gewässer gelangt.

 Mit dieser Sonde überprüfen Greenpeace-Aktivisten (rechts im Bild Chemieexperte Manfred Santen) den Sauerstoffgehalt in küstennahen Ostseegebieten
Mit dieser Sonde überprüfen Greenpeace-Aktivisten (rechts im Bild Chemieexperte Manfred Santen) den Sauerstoffgehalt in küstennahen Ostseegebieten
 Taucher nehmen vom Meeresgrund Sedimentproben. Der faulige Geruch von Schwefelbakterien weist auf „tote Zonen“ hin
Taucher nehmen vom Meeresgrund Sedimentproben. Der faulige Geruch von Schwefelbakterien weist auf „tote Zonen“ hin

„Schlechtes Timing“, sagt San-ten und zuckt mit den Schultern. „Die Düngerrückstände stecken noch in den Ackerböden fest. Erst wenn es reichlich regnet, waschen sie aus und werden über die Flüsse schließlich ins Meer gespült.“ Was die Überdüngung in der Ostsee über die Jahre schon angerichtet hat, dokumentieren auf der Fahrt der Beluga II Taucher mit Kameras. Am Meeresgrund filmen sie nackten Meeresboden, keine Pflanzen, keine Fische. Die wichtigste Ursache dafür machen die Greenpeacer an Land aus: Tierfabriken. Von dort stammt die Gülle, die zu viel Nitrat enthält und riesiges Algenwachstum anregt. Wenn die Algen absterben und vermodern, wird dem Wasser Sauerstoff entzogen.

„Wir haben Sauerstoffmessungen gemacht und Gebiete gefunden, wo nichts mehr lebt, weil es an Sauerstoff mangelt. Das sind tote Zonen“,

sagt Santen. In Küstennähe haben Greenpeacer solche Regionen entdeckt, etwa in der Flensburger Förde oder in der Eckernförder Bucht.

 Auch von Land aus nehmen Greenpeace-Aktivisten Wasserproben, um sie im Anschluss unter anderem auf ihren Nitratgehalt hin zu untersuchen
Auch von Land aus nehmen Greenpeace-Aktivisten Wasserproben, um sie im Anschluss unter anderem auf ihren Nitratgehalt hin zu untersuchen
Wie warm ist die Ostsee? Die Temperatur ist ein wichtiger Indikator für die Wasserqualität
Wie warm ist die Ostsee? Die Temperatur ist ein wichtiger Indikator für die Wasserqualität

Zu viel Nitrat im Wasser

Greenpeace engagiert sich seit Jahren gegen die Folgen der Massentierhaltung. Für mehr Tierwohl, gegen Agrargifte und zunehmende Überdüngung. Parallel zur Beluga-Tour hat ein Greenpeace-Team im Sommer 2018 in 21 Städten Wasserproben genommen, um den Nitrat- und Phosphatgehalt zu messen. Auch Bürger konnten Wasserproben aus Flüssen oder Brunnen zum Testen vorbeibringen. „Die Leute standen Schlange“, erzählt Dirk Zimmermann, Landwirtschafts­experte bei Greenpeace.

Zwar zähle das Trinkwasser in Deutschland noch immer zu den besten der Welt, doch müsse dafür immer tiefer gebohrt und Grundwasser stärker vermischt werden. Bekomme Politik und Landwirtschaft das Nitratproblem nicht in den Griff, könnte sich der Preis für Trinkwasser um bis zu 60 Prozent erhöhen, warnen die Wasserversorger.

Bei einem Drittel der Grundwassermessstellen wird der Grenzwert für Nitrat von 50 Milligramm pro Liter Wasser überschritten. Zwar wurde die Düngeverordnung vor einem Jahr überarbeitet, doch eine substanzielle Reduktion der Nitrateinträge in das Grundwasser ist kaum zu erwarten, solange sich an den Ursachen des Problems, den viel zu hohen Tierzahlen, nichts ändert. Weil die Bundesrepublik das Grundwasser seit Jahren nicht ausreichend vor Nitrateinträgen schützt, hat die EU-Kommission Deutschland 2016 vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt. Wenn die Regierung in Berlin nicht bald effektive Maßnahmen ergreift, so urteilte das Gericht im Sommer 2018, drohen milliardenhohe Strafzahlungen.

 Problematische Gülleausbringung: In der industriellen Landwirtschaft fällt mehr Kot und Urin an, als Pflanzen auf dem Acker aufnehmen und verwerten können
Problematische Gülleausbringung: In der industriellen Landwirtschaft fällt mehr Kot und Urin an, als Pflanzen auf dem Acker aufnehmen und verwerten können

Zu viel des Guten

Früher war der von Stroh durchsetzte Mist ein wertvolles Gut, das die Bauern auf ihren Feldern verteilten, um das Pflanzenwachstum zu fördern.  Heute werden zu viele Tiere gehalten, unter den Spaltenböden der Ställe sammelt sich eine Brühe aus Harn und Kot. Diese anfallende Gülle kann oft nicht vollständig auf den betriebseigenen Flächen ausgebracht werden. Das ist aus mehreren Gründen problematisch:

Bringen Landwirte zu viel dieser Gülle auf den Feldern aus, steigt der Nitratgehalt im Grundwasser. Würde das Nitrat in unser Trinkwasser gelangen, kann es sich im menschlichen Körper in gefährliches Nitrit umwandeln. In der Folge kommt es zur Unterversorgung mit Sauerstoff, Babys können dadurch Blausucht bekommen und im schlimmsten Fall sogar an Organversagen sterben.

Das Greenpeace-Aktionschiff Beluga II verfügt über ein mobiles Labor
Das Greenpeace-Aktionschiff Beluga II verfügt über ein mobiles Labor
Hier können noch vor Ort Nährstoffanalysen gemacht werden
Hier können noch vor Ort Nährstoffanalysen gemacht werden

Mit der Gülle werden auch multiresistente Keime verbreitet, die sich nicht mit Antibiotika bekämpfen lassen. Erst im Mai 2017 hat Greenpeace in Gülleproben diese Keime erschreckend oft nachgewiesen – von 19 untersuchten Proben wurden in 13 Bakterien mit Resistenzen gegen eine oder gleich mehrere Antibiotikagruppen gefunden. Sie entstehen, weil in Tierfabriken große Mengen an Antibiotika verabreicht werden. Nach Angaben der EU-Seuchenschutzbehörde ECDC sterben in Europa jährlich mehr als 33.000 Menschen an multiresistenten Keimen.

Gülle stinkt nicht nur, der flüchtige Stoff Ammoniak reizt die Atemwege und führt zur Bildung gesundheitsgefährdenden Feinstaubs in der Luft. Außerdem wird Gülle zum Teil quer durchs Land gekarrt, um sie loszuwerden. Landwirte ohne Tierhaltung verdienen Geld damit, dass sie überschüssige Gülle abnehmen. So kommt es sogar zu Gülleimporten aus Ländern mit einer strengeren Gesetzgebung, zum Beispiel aus Holland. Aus dem einst wertvollen Dünger ist längst Sondermüll und der Gülletourismus zum einträglichen Geschäft geworden.

Zu viel Gülle schädigt die Natur: Artenreiche Magerwiesen verschwinden, Bodenorganismen werden beeinträchtigt. Außerdem befeuern zum Beispiel hohe Rinderbestände den Klimawandel: Die Tiere stoßen das Treibhausgas Methan aus. Für den Anbau von Futtermitteln wie Soja, das vor allem in der Schweine- und Geflügelhaltung eingesetzt wird, werden in Übersee wertvolle Wälder gerodet.

Für das wachsende Gülleproblem in ganz Europa macht Christiane Huxdorff, Greenpeace-Landwirtschaftsexpertin, Landwirtschaft und Politik verantwortlich. „Die Politik hat den Landwirten jahrelang erlaubt, ihre Felder mit zu viel Stickstoff zu düngen – und fördert das auch noch finanziell“, kritisiert sie. In zehn europäischen Ländern haben Greenpeace-Aktivisten in Regionen mit intensiver Tierdichte Wasserproben genommen. In zwei von drei Proben fanden sich Antibiotikarückstände, außerdem wies das Labor mehr als 100 verschiedene Pestizidrückstände nach.

„Wir brauchen dringend eine sogenannte Hoftorbilanz für Futtermittel, Dünger und Gülle“, sagt Huxdorff. Nur wenn jeder Landwirt genau über Einkauf und Verbrauch Buch führt und die Daten den Kontrollbehörden zur Verfügung stellt, lässt sich das Überdüngungsproblem in den Griff bekommen.

 Mit einem riesigen Teller voller Gülle protestierten Greenpeace-Aktivisten im Juni 2018 für den Schutz des Grundwassers durch eine schärfere Düngeverordnung
Mit einem riesigen Teller voller Gülle protestierten Greenpeace-Aktivisten im Juni 2018 für den Schutz des Grundwassers durch eine schärfere Düngeverordnung

Huxdorff, Zimmermann und Santen haben eine effektive Formel, wie das schnell gelingen kann: Strengere Düngevorschriften, weniger Tiere, bessere Haltung. Oder in einem Satz: Kein Geld mehr für Tierfabriken!

„Wir haben es satt“ – Kommt am 19. Januar 2019 zur großen Demonstration für eine bessere Landwirtschaft nach Berlin!

EU-Agrarpolitik

Jährlich vergibt die Europäische Union 58 Milliarden Euro an Agrarsubventionen. Noch immer fließt der größte Anteil pauschal pro Hektar, unabhängig davon, ob die Flächen umweltfreundlich bewirtschaftet werden oder nicht. Für diese verfehlte Agrarpolitik werden die EU-Bürger dreifach zur Kasse gebeten: Sie müssen pro Kopf und Jahr 114 Euro an Steuergeldern bezahlen, um die Agrarsubventionen zu finanzieren, hinzu kommen Gelder für die Reparatur von Umweltschäden, Kosten im Gesundheitssystem und schließlich – wie beim Gülleproblem  – für mögliche Strafzahlungen an die EU. Greenpeace fordert eine Agrarwende: Die Zahl der landwirtschaftlichen Nutztiere muss an die Fläche gekoppelt werden. Einen ersten Erfolg hat Greenpeace in Brüssel bereits erreicht: Bei Agrarentscheidungen hat der Umweltausschuss künftig ein Mitspracherecht.