Energie

„Gas ist das nächste große Thema“

Die Wärmewende wurde sträflich vernachlässigt – jetzt muss die neue Bundesregierung den Erdgasausstieg einleiten, sagt Gerald Neubauer, Energieexperte von Greenpeace

Die Gas- und Strompreise sind weltweit in die Höhe geschnellt. Wie bewertest du diese Entwicklung?
Zweischneidig. Einerseits positiv, weil hohe Preise den Anreiz erhöhen, auf erneuerbare Energien umzustellen. Andererseits belasten die hohen Preise vor allem ärmere Haushalte stark, und sie könnten zu einer Ausweitung der Gasförderung führen. Eines ist auf jeden Fall klar: Die wichtigste Ursache für die Preissteigerung ist unser viel zu hoher Verbrauch fossiler Energien.

Gerald Neubauer

Wie steht es derzeit um den Wärmesektor?
Die alte Bundesregierung hat die Wärmewende, also die klimafreundliche Ausgestaltung der Heizenergie und Gebäudedämmung, verschleppt. Das meiste Gas wird für die Wärmeproduktion verbrannt: Mehr als die Hälfte aller Wohnungen haben eine Gasheizung, und bis heute gibt es staatliche Subventionen für deren Einbau. In den letzten drei Jahren kostete das drei Milliarden Euro. Diese Förderungen aus Steuergeldern wurden uns noch dazu als Klimaschutz verkauft, das ist einfach unglaublich.

Viele stufen Gas noch immer als Brückentechnologie ein.
Stimmt. Inzwischen wissen wir aber, dass die bei der Gasförderung und beim -transport entstehenden Emissionen von Methan massiv unterschätzt worden sind – und Methan ist ein deutlich klimaschädlicheres Gas als CO2. Oder nehmen wir zum Beispiel LNG-Importe: Für den Schiffstransport wird Erdgas unter hohem Energieaufwand auf minus 160 Grad abgekühlt und verflüssigt, das verschlechtert die Klimabilanz erheblich. In Brunsbüttel und Stade sollen zwei LNG-Terminals entstehen – über die könnte extrem umweltschädliches Frackinggas aus den USA zu uns kommen. Für das Klima ist das fatal.

Was soll denn mit den bestehenden Gaskraftwerken geschehen?
Wenn die Atom- und Kohlekraftwerke abgeschaltet werden, brauchen wir zur Absicherung der Stromversorgung – auch neue – Gasturbinen. Wichtig ist aber, die Erneuerbaren so stark auszubauen, dass die Turbinen dann nur noch wenige Stunden im Jahr laufen, wenn Sonne und Wind nicht liefern können. Und bis 2035 müssen die Gaskraftwerke auf grünen Wasserstoff umgestellt werden.

Welche Heizungen sind zukunftsweisend?
Am effizientesten sind mit erneuerbarer Energie betriebene Wärmepumpen, die Wärme aus Luft oder Boden anzapfen. Aus einer Kilowattstunde Strom können so drei bis vier Kilowattstunden Wärme entstehen. Ergänzend wichtig sind Solarthermieanlagen, der Ausbau der Wärmenetze und Geothermie, also die Nutzung
der Erdwärme.

Was muss die neue Bundesregierung umsetzen?
Sie darf neue Erdgasinfrastruktur, wie etwa Pipelines oder LNG-Terminals, nicht mehr zulassen. Sie muss den CO2-Preis deutlich erhöhen und den Einbau neuer Gasheizungen ab 2024 verbieten. Außerdem brauchen wir eine Ausweitung der Förderung für erneuerbare Wärmequellen und Gebäudesanierung. Und natürlich muss Deutschland bis 2030 aus der Kohle aussteigen und Erneuerbare Energien massiv ausbauen.

Ist Gas die neue Kohle?
Ja, sobald der schnellere Kohleausstieg feststeht, wird fossiles Gas das nächste große Thema der Klimabewegung. Wir müssen es schaffen, bis 2035 unabhängig von Erdgas zu sein, damit Deutschland vor 2040 klimaneutral wird.