Brennpunkt Energie

Brennpunkte

In Deutschland hat Greenpeace seit der Gründung für den Atomausstieg gekämpft. In einem hart errungenen Konsens wurde er für Ende 2022 beschlossen. Doch immer wieder flammt die Debatte über eine Verlängerung der Nutzung der Atomkraft auf. Wir baten den Greenpeace-Atomexperten Heinz Smital um ein Interview

Brennpunkt Energie

„Atomkraft ist keine Lösung“

Kernphysiker Heinz Smital, seit 2006 Atomexperte von Greenpeace
Kernphysiker Heinz Smital, seit 2006 Atomexperte von Greenpeace

Angesichts des Ukrainekrieges und der Gasmangellage dürfen die letzten drei Meiler bis Mitte April im Streckbetrieb weiterlaufen. Was bringt das für die Energiesicherheit?

Nur sehr wenig, denn die Brennelemente sind weitgehend abgebrannt. Man muss sich das vorstellen wie einen leeren Tank beim Auto, das dann auch nur noch ein paar Kilometer weiterstottert. In den gesamten dreieinhalb Monaten würden sie nur noch 0,89 Prozent der Stromversorgung gewährleisten und weniger als 0,2 Prozent des Gasverbrauchs einsparen. Das wird nicht ausreichen, um den Strompreis zu dämpfen. Die Atomkraftwerke länger am Netz zu lassen, ist ganz klar eine falsche Entscheidung. Atomkraft ist keine Lösung.

Warum halten vor allem CDU/CSU und FDP trotzdem an der Hochrisikotechnologie fest? 

Sie wollen die Grünen vor sich hertreiben und von ihrem eigenen Versagen ablenken: Sie waren es, die jahrelang die Energiewende ausgebremst haben. Und noch immer führen sie die Öffentlichkeit in die Irre, das ist problematisch und unseriös. Der Preis, den wir für dieses Fehlverhalten zahlen, könnte verdammt hoch ausfallen.

Inwiefern?

Für das bisschen Strom, das wir gewinnen, wenn die letzten Meiler weiterlaufen, gehen wir ein immenses Sicherheitsrisiko ein. Erstens: In Europa herrscht Krieg, Anschläge und Sabotageakte sind nicht ausgeschlossen. Zweitens: Keiner der Reaktoren genügt den aktuellen Sicherheitsanforderungen. Drittens: Die laufenden Atomkraftwerke in Europa zementieren die Abhängigkeit von Russland, denn fast die Hälfte der Uranbrennstoffe kommen aus Russland und Kasachstan. Tatsächlich hat die EU sogar die russischen Uranlieferungen aus den Sanktionen herausgenommen – das wird einfach so hingenommen, dazu sagt niemand was.

Ist eine grundsätzliche Laufzeitverlängerung vorstellbar?

Nein. Der Atomausstieg nach dem 15. April ist besiegelt. Schon allein, weil die Betreiber da nicht mitmachen werden. Sie würden die Haftung nicht übernehmen, zudem fehlt es an Fachpersonal. Außerdem würden die letzten AKWs keine Genehmigung mehr bekommen, Sicherheitsüberprüfungen sind seit 2019 überfällig. Der Weiterbetrieb wurde nur aufgrund des Abschalttermins Ende 2022 bewilligt. Inzwischen wurden die Sicherheitsstandards deutlich verschärft, diesen Anforderungen hält kein deutscher Meiler stand. Ein scheibchenweiser Weiterbetrieb wäre am gefährlichsten, denn bei dieser Salamitaktik könnten Sicherheitsvorschriften verschleppt werden. Das alles könnten die Medien thematisieren, die wenigsten tun es.

Was kritisierst du konkret? 

Dass sie irreführende Behauptungen zu wenig hinterfragen. Nehmen wir zum Beispiel die Kernbrennstoffe: In dem Moment, in dem Politiker-innen oder Wirtschaftsbosse von einem Weiterbetrieb reden, müssen sie nachfassen und fragen: Wo sollen denn die neuen Brennstoffe herkommen? Aus Russland? Und sie müssten klar stellen, dass es zwischen anderthalb und drei Jahren dauern könnte, bis neue geliefert werden würden. Manche Medien sind Teil der Stimmungsmache. Um zu tragfähigen Lösungen in der Energiekrise zu kommen, müsste man andere Fragen stellen, zum Beispiel: Ob endlich Beteiligungsmodelle bei Windparks gefördert oder welche Bürokratie-hindernisse für den Ausbau der Erneuerbaren abgebaut werden.

Was müsste passieren, um in Mangelzeiten die Energieversorgung abzusichern?

Wir müssen Energie sparen und effizienter damit umgehen. So wie in Japan nach den mehrfachen Super-GAUs in Fukushima: Da wurden fast auf einen Schlag 54 AKWs abgeschaltet, trotzdem gab es keine Blackouts, weil Strom dann verbraucht wurde, wenn er da war. Ein Ampelsystem hat den Menschen angezeigt, wann sie ihren Bedarf einschränken sollten. Dieses Lastmanagement hat gut funktioniert, Frankreich praktiziert das übrigens auch so.

Ist Atomkraft weltweit ein Auslaufmodell?

Ja. Sie ist die teuerste und gefährlichste Art, Strom zu erzeugen. Zudem ist sie – wie wir durch die vielen Ausfälle in Frankreich gesehen haben – unzuverlässig und es dauert viele Jahre, bis ein Neubau eines Atomkraftwerkes realisiert ist. Und die ungelösten Probleme der Atommüllentsorgung bleiben über Jahrhunderte bestehen.

Wie sieht die Energieversorgung der Zukunft aus? 

Ganz klar: erneuerbar und unabhängig. Geld, das jetzt noch immer in den Weiterbetrieb von Atom- und fossilen Kraftwerken gesteckt wird, fehlt für den dringend nötigen, massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Das ist es, was wir brauchen: Investitionen in Wind- und Solaranlagen, in ein belastbares Stromnetz, in Wärmepumpen, in die Gebäudedämmung, in Speicher-technologien und vieles mehr.

Vor der Bekanntgabe des Stresstestergebnisses erinnerten Greenpeace-Aktive Wirtschaftsminister Robert Habeck an den beschlossenen Atomausstieg Ende 2022
Vor der Bekanntgabe des Stresstestergebnisses erinnerten Greenpeace-Aktive Wirtschaftsminister Robert Habeck an den beschlossenen Atomausstieg Ende 2022