FUKUSHIMA

„Gefahr nicht gebannt“

In Japan ist von Normalität keine Spur – weder Politik noch Betreiber haben die Atomkatastrophe im Griff

Als Heinz Smital Ende März erfuhr, dass die olympischen Spiele um ein Jahr verschoben werden, war der Greenpeace-Atomexperte erleichtert. Denn neben der Corona-Pandemie lauert noch immer die radioaktive Gefahr. Seit dem mehrfachen Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima Daiichi im März 2011 misst Smital Jahr für Jahr vor Ort die radioaktive Strahlung. Auch neun Jahre später hat er wenig Beruhigendes zu berichten: „In der Nähe einer Olympia-Sportstätte, 20 Kilometer von den Unglücksmeilern entfernt, hat mein Messgerät plötzlich verrückt gespielt. Es zeigte 70 Mikrosievert pro Stunde, mehr als tausendmal so viel wie vor der Katastrophe!“ Smital geht davon aus, dass starke Regenfälle immer wieder radioaktive Partikel in Regionen spülen, die schon dekontaminiert waren. Für ihn ist deshalb klar, dass es keine Entwarnung geben kann.

Nahe eines Olympia­parks entdeckten Greenpeace-Strahlen­experten Ende 2019 hohe Werte. Die Regierung ließ daraufhin einen Quadratmeter Erde  austauschen

„Nach einem Tsunami kann man alles wieder aufbauen, das Leben kehrt zurück. In Fukushima geht das nicht, die Gefahr ist nicht gebannt.“

Die Regierung setzt alles daran, Normalität zu suggerieren. Die Atomkatastrophe haben aber weder Politik noch Betreiber im Griff: Der sehr heiße, geschmolzene Kernbrennstoff muss noch einige Jahre gekühlt werden. Täglich fallen 400 Tonnen kontaminiertes Wasser an, das sind etwa 4000 Badewannen voll. Überall türmen sich meterhohe Berge schwarzer Plastiksäcke mit inzwischen mehr als 22 Millionen Kubikmetern verseuchter Erde. „Nach einem Tsunami kann man alles wieder aufbauen, das Leben kehrt zurück. In Fukushima geht das nicht, die Gefahr ist nicht gebannt“, so Smital, er fügt hinzu: „Ich würde mich nie ohne ein Messgerät in der Gegend bewegen.“ Dennoch drängt die Regierung Menschen zur Rückkehr in die angeblich gesäuberte Sperrzone. Doch viele weigern sich und setzen ihre Entschädigungszahlungen aufs Spiel – aus Angst vor dem unsicht-baren Risiko, und weil die Atmosphäre in den Geisterstädten bedrückend und das soziale Leben zerstört ist.

Und immer wieder bebt die Erde, die Erschütterungen halten die Erinnerung an die Katastrophe wach. Die große Mehrheit der Japanerinnen und Japaner befürwortet eine atomstromfreie Zukunft, in der die Potenziale von Sonne, Wind und Erdwärme ausgeschöpft werden. Einen ersten Erfolg kann die Anti-Atombewegung verbuchen: Anfang des Jahres untersagte ein japanisches Gericht das Wieder-anfahren des AKWs Ikata. Die Richter bemängelten die Sicherheitspläne der Atomanlage in unmittelbarer Nähe eines Vulkans als völlig unzureichend.

Obwohl die Regierung schnell zur Atomkraft zurückkehren will, sind derzeit nur acht von ursprünglich 54 Atom-anlagen am Netz. Knapp zwei Jahre lang, zwischen September 2013 und August 2015 lief kein einziges. „Das zeigt, wie schnell ein Industrieland aus der gefährlichen Atomkraft aussteigen kann, ohne dass die Lichter ausgehen“, sagt Smital. Der Wermutstropfen: Japan setzt seither verstärkt auf Kohle.

DANKESCHÖN

Jeden Tag bewusst wahrnehmen und genießen, das war das Lebensmotto der Naturliebhaberin Heidrun Meinecke, die im Alter von 62 Jahren verstorben ist. Zeitlebens hat die Wolfsburgerin Umwelt und Ressourcen geschont, das Familienleben bereichert, viel Zeit an der frischen Luft verbracht, sie war tolerant, kritisch, aktiv und humorvoll. Besonders am Herzen lagen ihr die erneuerbaren Energien und der Kampf gegen die Atomkraft. Großzügig hat sie deshalb die Energiewendekampagnen von Greenpeace unterstützt. Dafür bedanken wir uns sehr herzlich.