GRÜNE WIRTSCHAFT

VIEL MEHR WUMMS

Viele Milliarden sollen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Von Ökologie ist im Konjunkturpaket nur wenig die Rede. Wie Greenpeace das Geld ausgeben würde

Der Wumms kam spät an jenem Mittwochabend Anfang Juni. Es ging schon auf Mitternacht zu, da traten Angela Merkel und Olaf Scholz vor die Presse. Gemeinsam mit ihren Koalitionsspitzen präsentierten sie, auf welche Konjunkturhilfen sich die Regierung in gut 20-stündigen Verhandlungen geeinigt hat. Beispielsweise wird die Mehrwertsteuer gesenkt, die Umlage für erneuerbare Energien reduziert, die Kfz-Steuer stärker an den CO2-Emissionen ausgerichtet, Familien bekommen einen Kinderbonus, auch die Kommunen werden bedacht. Auf 130 Milliarden Euro addieren sich die Coronahilfen. Überraschender aber ist, wofür die Koalitionäre kein Geld ausgeben wollen. Eine Prämie für den Verkauf reiner Verbrennerautos gibt es nicht. WUMMS!

Erzwungener Befreiungsschlag

Wenn es hart auf hart kam in den vergangenen Jahren, hatte sich die Autoindustrie immer durchgesetzt. Obwohl Ökonomen vor einem teuren Strohfeuer gewarnt hatten, spendierte die Bundesregierung nach der Finanzkrise 2009 fünf Milliarden Euro für eine Abwrackprämie. Als die EU-Staaten 2013 ehrgeizige Klimastandards für Pkw durchsetzen wollten, sorgte die Branche geschickt dafür, dass Kanzlerin Merkel intervenierte: Die CO2-Grenzwerte wurden aufgeweicht. Als 2015 erst VW und schließlich auch andere Hersteller mit manipulierten Abgaswerten auffielen, kamen die Konzerne in Deutschland weit günstiger davon als in anderen Ländern. Diesmal aber ist es anders. Befreit sich die deutsche Politik aus der Umklammerung der Autolobby?

Eher wurde sie befreit, von einer deutlichen Mehrheit im Land. In einer repräsentativen ARD-Umfrage im Mai lehnten 63 Prozent der Befragten staatliche Kaufprämien ab. Vielleicht auch, weil die Autobosse sie dreist forderten, aber weiter auf Managerboni und Dividendezahlungen beharrten. Vor allem aber auch von einer Klimabewegung, die unterstützt von Wissenschaft und Unternehmen darauf drängt, Konjunkturhilfen gezielt für den ökologisch-nachhaltigen Teil der Wirtschaft einzusetzen. Mit der Kampagne und dem Slogan „Kein Geld für gestern!“ bringt Greenpeace die Forderung auf den Punkt. Die Kernbotschaft lautet: Staatliche Hilfen und Investitionen dürfen keine alten Geschäftsmodelle stützen, die auf Kosten von Natur und Klima wirtschaften. Fördergeld darf es nur für Unternehmen geben, die effizient mit Ressourcen umgehen, die ihren CO2-Fußabdruck im Einklang mit den Klimazielen kontinuierlich senken.

Schlupfloch Hybrid

Bleiben wir aber beim Verkehr, denn auch diesmal gibt es ein Schlupfloch: Für Plug-in-Hybride – Autos also, die sowohl einen Elektroantrieb als auch einen Verbrennungsmotor haben – wird die bestehende Kaufprämie verdoppelt. Dabei weist selbst der ökologischen Ideologien unverdächtige ADAC darauf hin, dass Hybridautos viel seltener elektrisch fahren, als die Hersteller mit ihren Verbrauchsan-gaben suggerieren. Entsprechend liegt ihr CO2-Ausstoß oft um ein Vielfaches über den offiziellen Angaben. Statt den Verkauf dieser getarnten CO2-Schleudern zu fördern, sollten die Helden der Verkehrswende gestützt werden: der öffentliche Nahverkehr, die Bahn und das Fahrrad. In jedem Szenario für effektiven und nachhaltigen Verkehr spielen Bus und Bahn eine tragende Rolle. Sie müssen coronasicher und günstig werden. Letzteres macht Österreich vor: Nach dem 365-Euro-Jahresticket in Wien folgt ab 2021 ein Klimaticket für die ganze Republik. Von da an können alle für 1095 Euro das ganze Jahr uneingeschränkt Züge und öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Und während das Rad in Deutschland außen vor bleibt, führt Italien eine Kaufprämie für Zweiräder ein, und Frankreich subventioniert Fahrradreparaturen.

Nach dem 365-Euro-Jahresticket in Wien folgt ab 2021 ein Klimaticket für die ganze Republik.

Abwrackprämien für Ölheizungen

Wie gut sich wirtschaftliche Hilfen und Klimaschutz etwa im Gebäudesektor verbinden lassen, zeigt Greenpeace mit einem „Neun-Punkte-Plan“. Die vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dem Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft erarbeitete Studie untersucht, wie mit möglichst geringen staatlichen Investitionen möglichst viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden können und möglichst viel CO2 eingespart werden kann. Die Autoren schlagen vor, die ohnehin geplante Abwrackprämie für alte Ölkessel in die kommenden vier Jahre vorzuziehen und so auszuweiten, dass eine Million schmutziger Ölheizungen ersetzt werden. Gleichzeitig sollen 100.000 kommunale Gebäude saniert und 100 Millionen Quadratmeter Gewerbefläche klimafreundlich neu- oder umgebaut werden. All diese Maßnahmen würden knapp zwölf Milliarden Euro kosten und weitere private Investitionen von knapp elf Milliarden nach sich ziehen. Bis 2024 könnten so etwa 80.000 neue Arbeitsplätze – unter anderem in den Bereichen Handwerk, Logistik, Verwaltung und Transport – geschaffen und pro Jahr 14 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden.

Dieselbe Studie zeigt auf, wie sich beim Ausbau der Solarenergie allein mit regulatorischen Schritten und minimalen staatlichen Investitionen, Zehntausende Jobs (von der Herstellung, Vermarktung bis hin zur Installation) schaffen lassen. Erreichen lässt sich das mit Sonderausschreibungen für weitere Photovoltaikanlagen, attraktiveren Regeln für den Eigenverbrauch von Solarstrom und indem der PV-Ausbau nicht länger beschränkt wird.

So könnten innerhalb der kommenden vier Jahre knapp 60.000 neue Arbeitsplätze entstehen und zusätzlich noch gut sechs Millionen Tonnen CO2 vermieden werden.

Tropfen auf den heißen stein

Neben sinnvollen Klimaschutzimpulsen im Verkehr und bei der Energieversorgung ignoriert das Paket auch sonst viel, was für die ökologische Modernisierung nötig wäre. Den nach zwei Dürrejahren stark geschädigten Wäldern will die Regierung helfen, indem sie der Forstwirtschaft 700 Millionen Euro für moderne Maschinen und Digitalisierung verspricht. Davon profitieren Betriebe, die bislang auf Plantagenwirtschaft und große Maschinen setzten. Leer gehen hingegen Waldbesitzer aus, die alte, widerstandsfähige Laubwälder schützen. Auch für das Tierwohl fällt nur wenig ab: Der Bund will den längst überfälligen Umbau deutscher Schweineställe mit 300 Millionen Euro fördern, damit Tiere besser gehalten werden können. Voraussetzung ist, dass die Betriebe damit nicht ihre Bestände ausweiten. Eigentlich richtig, aber mit Blick auf die notwendige Agrarwende, die darauf zielt, die Emissionen in der Landwirtschaft deutlich zu senken, bleibt diese Maßnahme nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Blassgrünes Paket

Es sind entscheidende Wochen. Astronomische Hilfssummen werden in Brüssel und Berlin verteilt. Klar ist: So viel Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Die Schulden belasten künftige Generationen, auch und vor allem deshalb müssen die Maßnahmen die Zukunft enkelsicher machen. Es darf kein Zurück zum Status quo ante, zu Raubbau und Zerstörung geben. Mithilfe der Milliarden müssen neue, grüne Geschäftsmodelle gefördert werden, die weniger CO2 verursachen und das dramatische Artensterben bremsen.

Diesen Kurs unterstützt auch die Mehrheit der Bevölkerung. 70 Prozent der Deutschen befürworten, dass Wirtschaftshilfen für Unternehmen an Klimaschutzauflagen geknüpft werden. Das ergab eine Kantar/Emnid-Umfrage im Auftrag von Greenpeace im Mai. Und sogar 84 Prozent sehen durch Corona die Notwendigkeit, generell anders zu wirtschaften. Corona ist also der Anlass zu einem größeren Wandel, den Greenpeace weiter vorantreiben wird.

Autor: Gregor Kessler