Auf den Spuren der Radioaktivität

Ukraine

Einsatz im Kriegsgebiet: Ein Greenpeace-Team installierte in der Nähe von Atomanlagen Überwachungsgeräte für radioaktive Strahlung

Zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn ist ein internationales Greenpeace-Team Ende Oktober in die Ukraine aufgebrochen. Zusammen mit der ukrainischen Initiative „SaveDnipro“ haben die Greenpeace-Expertinnen und -experten an verschiedenen Standorten, unter anderem in der Nähe der Atomruine Tschornobyl (ukrainische Schreibweise) ebenso wie bei den Atomkraftwerken Juschnoukrajinsk und Saporischschja Strahlungssensoren aufgestellt – diese Technik ermöglicht eine Live-Überwachung aus der Ferne und warnt im Falle radioaktiver Freisetzungen.

Einige Teammitglieder haben ihre Erlebnisse während der dreiwöchigen Reise in einem Tagebuch festgehalten. Sie berichten über persönliche Erfahrungen, Grenzerlebnisse, die Ausgangssperre und über bewegende Begegnungen mit Menschen, die von Widerstandsfähigkeit, Hoffnung und Ausdauer zeugen. Die gesammelten Tagebucheinträge finden Sie hier

An der Hochschule in der südukrainischen Stadt Juschnoukrajinsk, nahe des gleichnamigen AKWs, installierte das Team Strahlungssensoren
An der Hochschule in der südukrainischen Stadt Juschnoukrajinsk, nahe des gleichnamigen AKWs, installierte das Team Strahlungssensoren

29. Oktober

Tobias – auf dem Weg von Lublin
nach Kyjiw

„Die ukrainische Grenzkontrolle nimmt viel Zeit in Anspruch. Die Beamtinnen und Beamten sind fasziniert von unserem 40 Kilogramm schweren Quant aus Blei – einem Strahlenmessgerät, das wie eine überdimensionale Salatschüssel aussieht. Mit fünf Stunden Verspätung lassen sie uns endlich weiterfahren. Was, wenn wir es nicht vor der kriegsbedingten Ausgangssperre von Mitternacht bis fünf Uhr morgens nach Kyjiw schaffen? Die Einfahrt um drei Uhr morgens ist gespenstisch, wir sehen Soldatinnen und Soldaten mit Kalaschnikows an brennenden Fässern und massive Panzersperren. Plötzlich fährt eine spezielle Polizeieskorte heran. Wir können es nicht fassen, unsere Kollegin Polina hat sie für uns organisiert – was für eine Begrüßung in Kyjiw mitten in der Nacht!“

31. Oktober

Jan – aus der Sperrzone
von Tschornobyl

„Vollbeladen mit Ausrüstung verlassen wir das Hotel und passieren viele Kontrollpunkte auf dem Weg in die kontaminierte Sperrzone von Tschornobyl. Um dorthin zu gelangen, brauchen wir eine Sondergenehmigung der ukrainischen Regierung. Hier, in der Nähe der belarussischen Grenze, hat die russische Invasion am 24. Februar 2022 begonnen. Das Militär hat Geräte geplündert oder zerstört, Gräben ausgehoben und Minen gelegt. Heute besuchen wir die Labore des EcoCentre, in denen vor dem Krieg Tausende von Proben analysiert worden waren. Als wir im Juli 2022 hier waren, fanden wir eine dramatische Situation vor, alles war verwüstet. Jetzt werden die Kapazitäten wieder aufgebaut. Am interessantesten für uns sind die sogenannten Schmutzräume, in denen radioaktiv verseuchte Proben vor der Analyse verbrannt oder getrocknet werden. Es ist sehr aufregend zu sehen, dass ein solches Weltklasselabor eine sehr ähnliche Methodik verfolgt wie unseres – allerdings in einem völlig anderen Maßstab.“

 

3. November

Shaun – aus Prypjat
nahe Tschornobyl

„Wir besuchen das nahegelegene Prypjat, wo am 27. April 1986 fast 50.000 Menschen wegen der hohen Strahlungswerte aus dem brennenden Reaktorblock evakuiert werden mussten. Mitten in dieser Geisterstadt ist der perfekte Ort, um eine Botschaft an die russische Atom­industrie zu senden: Mit unserem Transparent machen wir deutlich, dass Rosatom aufgrund seiner direkten Rolle im russischen Krieg gegen die Ukraine mit Sanktionen belegt werden muss. Atomgeschäfte mit dem Ausland, also mit Unternehmen wie Siemens in Deutschland oder Framatome in Frankreich, müssen gestoppt werden!“

In der Geisterstadt Prypjat fordern Teammitglieder Sanktionen gegen den russischen Staatskonzern Rosatom. Die Aufnahme unten entstand bei Strahlenmessungen in der Sperrzone der Atomruine Tschornobyl
In der Geisterstadt Prypjat fordern Teammitglieder Sanktionen gegen den russischen Staatskonzern Rosatom. Die Aufnahme unten entstand bei Strahlenmessungen in der Sperrzone der Atomruine Tschornobyl

7. November

Polina – aus Saporischschja

„Wir sind auf dem Weg nach Saporischschja. Vor der Reise war ich ein wenig nervös wegen der Gefahren, die dort auf uns warten könnten. Vor Ort treffen wir die Leiterin der Stadtverwaltung – eine sehr mutige, junge Frau namens Olena. Sie muss aus Sicherheitsgründen ständig ihren Standort wechseln. Ihre Worte und Geschichten über den Widerstand machen mich sehr stolz auf die ukrainische Bevölkerung, die trotz aller Widrigkeiten nicht aufgibt. In Saporischschja, einer ursprünglich wunderschönen Stadt, sind die Folgen der russischen Aggression überall zu sehen: zerstörte Gebäude und beschädigte Infrastruktur. Endlich kommen wir beim Krankenhaus an, wo wir unseren Sensor installieren. Alles läuft reibungslos. Am Abend denke ich viel über all diese zerstörten Leben, zerstörten Kindheiten und Träume nach. Es heißt, dass derjenige, der seinen Weg geht, ihn auch meistern wird. Das sage ich mir immer wieder, um weiterzumachen.“