Ukraine

„Eine kleine Revolution“

Im September eröffnete Greenpeace in Kyjiw ein Länderbüro. Die Kampaignerin Polina Kolodiaschna berichtet über die atomare Gefahr und den grünen Wiederaufbau
Foto oben: Das Team des neuen ukrainischen Greenpeace-Büros (v. l.): Daryna Rogatschuk, Jewhenija Krawtschenko, Veronika Kasina, Polina Kolodiaschna, Natalia Gosak, Anna Talasch, Illia Kuksenko

Ich erinnere mich lebhaft an den Anfang des Krieges, an das Entsetzen über den illegalen Einmarsch Russlands in die Ukraine. Es ging allen im Frühjahr 2022 erst einmal um schnelle Hilfe, darum, die ersten Kriegshandlungen zu lindern.

Greenpeace-Mitarbeitende und -Freiwillige aus den Ländern der Region mit einer gemeinsamen Grenze zur Ukraine – Slowakei, Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien – waren umgehend an der humanitären Arbeit beteiligt und haben Flüchtende unterstützt. Der Krieg entfaltete sich in erschreckender Geschwindigkeit, in der Ukraine wurden Atomanlagen beschossen, ebenso die Energieinfrastruktur. Für uns war klar: Wir müssen mehr tun. Wir können nicht warten, bis es vorbei ist, wir müssen die Menschen in der Ukraine direkt in ihrem Land unterstützen.

Die Arbeit wurde sehr schnell sehr konkret: Die Atomanlage Tschornobyl geriet unter Beschuss, die Lage vor Ort war unklar. Ein Team mit Strahlenexperten machte sich unter der Leitung von Greenpeace Deutschland auf den Weg, um Messungen und Bildanalysen der Umgebung der havarierten Atomanlage durchzuführen.

Greenpeace-Mitarbeitende und -Aktive fordern einen grünen Wiederaufbau der Ukraine.
Greenpeace-Mitarbeitende und -Aktive fordern einen grünen Wiederaufbau der Ukraine.

Außerdem haben Greenpeace Mittel- und Osteuropa sowie Greenpeace Deutschland zu Beginn des Krieges zusammen mit gemeinnützigen ukrainischen Umweltorganisationen das Projekt „Green Recovery Ukraine“ gestartet. Ziel ist ein umfassender, grüner und nachhaltiger Wiederaufbau der zerstörten Gemeinden, Infrastruktur und Wirtschaft – eine mögliche Blaupause für wirklich widerstandsfähige Gesellschaften! Gearbeitet haben wir auf Projektbasis und in enger Abstimmung mit einzelnen Greenpeace-Länderbüros. Wir haben in den letzten Jahren Netzwerke aufgebaut, Erfahrungen im grünen Umbau gesammelt und pragmatisch Leuchtturmprojekte zur Energiegewinnung an den Start gebracht – auf einem Kindergarten in Hostomel installierten wir Solarpaneele, ein Krankenhaus statteten wir mit einer Solaranlage und einer Wärmepumpe aus. Bei den einzelnen Projekten gingen und gehen wir respektvoll vor, das heißt für uns: Wir nehmen Entscheidungstragende und Anwohnende gleichermaßen mit. Als wir beispielsweise ein Solarkraftwerk auf dem Dach der Klinik in Horenka installierten, stießen wir auf Skepsis bei den Bewohner:innen des Dorfes. Doch während der ersten Stromausfälle aufgrund der russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur begannen sie, die Anlage auch selbst zu nutzen. Sie kamen, um sich aufzuwärmen, ihre Telefone aufzuladen oder einfach nur, um ein heißes Getränk zu sich zu nehmen. So erleben die Menschen den Vorteil einer autarken Energieversorgung ganz konkret.

Greenpeace-Aktive installieren Solaranlagen in der Ukraine
Greenpeace-Aktive installieren Solaranlagen in der Ukraine

Im September 2024 eröffnete Greenpeace in Kyjiw auch ein eigenes Büro. Mit diesem Schritt setzen wir ein wichtiges und mutiges Zeichen, auch für unsere Netzwerke in der Ukraine: Wir sind gekommen, um zu bleiben! Für mich ist es eine große Freude und eine Ehre, dabei zu sein. Es ist ein Zeichen der großen Unterstützung für das gesamte ukrainische Volk in einer so schwierigen Zeit. Greenpeace Ukraine will in und außerhalb des Landes inspirieren: Wir zeigen, dass ein grüner Wiederaufbau möglich ist. Internationale Gelder für den Wiederaufbau müssen in der Ukraine nachhaltig eingesetzt werden – dafür engagieren wir uns mit unseren Konzepten bei der ukrainischen Regierung und der EU und stellen politische Strategien vor.

Wenn wir nach vorne blicken, sind unsere Aufgaben klar: Wir forcieren den grünen Wiederaufbau in der Ukraine, dokumentieren Umweltzerstörungen durch den Krieg und untersuchen Umweltkriegsverbrechen infolge der russischen Invasion. Selbstverständlich werden wir weiter die Sicherheitslage und die Strahlungswerte rund um ukrainische Atomanlagen genau beobachten. Strahlungssensoren sind in den Siedlungen in der Nähe der Atomanlage Saporischschja bereits installiert, und wir bieten Strahlungssicherheitstrainings für die örtliche Bevölkerung an.

Ein Greenpeace-Mitarbeiter prüft Strahlungswerte
Ein Greenpeace-Mitarbeiter prüft Strahlungswerte

Auch unterstützen wir die Stadt Trostjanez bei ihrem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen. Dort zeigen wir anhand eines Pilotprojekts für die nachhaltige Beheizung eines Mehrfamilienhauses mit 60 Wohnungen die Vorteile von Wärmepumpen und Solaranlagen auf. Außerdem planen wir die umfassende energetische Modernisierung eines großen Krankenhauses in Schepetiwka, das noch mit Kohle beheizt wird. In der Flussregion Dnipro haben wir ein integriertes Konzept für eine nachhaltige Entwicklung vorgelegt. Zudem unterstützen wir Gemeinden, die in der derzeitigen Energiekrise zur Versorgung von Krankenhäusern und Schulen beitragen, mit Solarzellen aus Deutschland und anderen europäischen Ländern. Und wir haben gerade angefangen, Frauen als Installateurinnen von Solarmodulen auszubilden, da qualifizierte Arbeitskräfte angesichts der aktuellen Kriegssituation fehlen.

Greenpeace setzt sich für den Erhalt der Karpaten ein
Greenpeace setzt sich für den Erhalt der Karpaten ein

Stellen Sie sich eine freie, unabhängige Ukraine vor, in der Krankenhäuser, Schulen und Haushalte mit Sonnen- und Windenergie versorgt werden, die frei von Energieabhängigkeiten ist – dafür arbeiten wir. Durch Projekte spendet Greenpeace den Gemeinden den Mut für den Weg in eine unabhängige Zukunft. Das ist nicht nur ein Wiederaufbau, es ist eine kleine Revolution.“