Mit einer historischen Entscheidung bringt die Justiz die Politik auf Trab. Abwarten, verzögern, aussitzen – damit ist es nun endgültig vorbei. Denn das Bundesverfassungsgericht erklärte das Klimagesetz der Bundesregierung in Teilen für verfassungswidrig. Indem die Bundesregierung heute zu wenig für den Klimaschutz tut, verschiebt sie die Reduktionslasten in unzulässiger Weise auf die Zukunft. Heutige Generationen greifen in die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen ein, indem sie sich selbst bis 2030 zu viele Treibhausgasemissionen zugestehen.
Wählen fürs Klima
Die Bundestagswahl am 26. September ist unsere Chance, an der Wahlurne für (mehr) Klima- und Artenschutz und für Generationengerechtigkeit zu sorgen. Geben Sie Klima und Natur Ihre Stimme! Und überzeugen Sie Familie und Freunde, diese Chance ebenso zu nutzen.
„Das ist ein sensationelles Urteil für uns“, sagt Sophie Backsen, eine der neun jungen Klägerinnen und Kläger, die zusammen mit Greenpeace nach Karlsruhe gezogen waren. Ihre Familie war auch schon bei der ersten Greenpeace-Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin beteiligt, die mitentscheidend für das Karlsruher Urteil war. „Ich hoffe sehr, dass jetzt nicht mehr nur geredet, sondern gehandelt wird“, sagt sie. „Politik muss künftig auf die Wissenschaft hören und auch unpopuläre Entscheidungen treffen, um effektiven Klimaschutz zu betreiben.“
Dieses Urteil wird eine internationale Vorbildfunktion haben.
Dieser verbindliche und unanfechtbare Beschluss ist eine Entscheidung mit Signalwirkung, der die Umweltpolitik entscheidend prägen wird. Die kommende Bundesregierung – unabhängig davon, welche Partei die Wahl gewinnen wird – muss in der nächsten Legislaturperiode Wirtschaft und Gesellschaft auf Klimakurs bringen. Zwar hat die Große Koalition gleich nach dem Karlsruher Richterspruch das bisherige Klimagesetz ein wenig nach-geschärft: Deutschland soll nun 2045 klimaneutral sein und bis 2030 die CO2-Emissionen um 65 Prozent reduzieren. Aber das reicht längst nicht, um das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens ein-zuhalten. Greenpeace rechnet in einer Kurzanalyse vor, dass trotz der Nachbesserungen bis 2030 91 Prozent des deutschen CO2-Restbudgets (6,7 Milliarden Tonnen) aufgebraucht sein würden, 2045 wäre es sogar um 32 Prozent überschritten. Nicht auszudenken, welch drastische Maßnahmen dann notwendig wären. Die Jüngeren müssten ausbaden, was die Menschen seit Jahrzehnten verschleppt haben. Generationengerechtigkeit sieht anders aus.
Proteste fürs Klima
Mitten im Wahlkampf gehen überall in Deutschland Menschen für das Klima auf die Straße. Seien auch Sie dabei und machen Sie die Bundestagswahl zur Klimawahl:
• 7. August: Anti-Kohle Demo am Tagebau Garzweiler
• 13. August: Klimastreik zum Thema Finanzwende in Frankfurt
• 11. September: IAA-Demo zur Internationalen Automobil-Ausstellung in München
• 24. September: Bundesweiter Klimastreik in allen größeren und vielen kleineren Städten
Nutzen Sie die Aktionskarte in der Heftmitte für weitere Infos und bestellen Sie unser Demopaket!
Karlsruhe hat verordnet, dass der Gesetzgeber bis Ende 2022 einen klaren Reduktionspfad beschließen muss, wie Deutschland seine Emissionen auf null herunterfahren kann – und zwar generationengerecht! Um die Lebensgrund-lagen unserer Kinder und Enkelkinder nicht aufs Spiel zu setzen, sind aus Sicht von Greenpeace jetzt folgende Maßnahmen unumgänglich:
• Der Kohleausstieg muss bis spätestens 2030 erfolgen.
• Ab 2025 dürfen PKW mit Verbrennungsmotoren nicht mehr neu zugelassen werden.
• Das Ende der Massentierhaltung und emissionsintensiven Landwirtschaft muss besiegelt werden.
• Klimaschädliche Subventionen sind bis 2025 zu beenden.
• Um das verbleibende CO2-Budget generationengerecht zu verteilen, braucht es ein Reduktionsziel von mindestens 70 Prozent bis 2030.
• Deutschland muss vor 2040 klima-neutral werden.
„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Weckruf für die Regierenden, die Klimapolitik in Deutschland endlich am Pariser Klima-abkommen auszurichten und so die Rechte der jungen Generation zu sichern“, sagt Lisa Göldner, Klimaexpertin von Greenpeace. Ab sofort hat Klimaschutz Verfassungsrang.
Roda Verheyen Anwältin der erfolgreichen Klimaverfassungsbeschwerde
„Klimaschutz ist Menschenrecht“
„Dieses Urteil ist bahnbrechend und wird international große Bedeutung haben. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist, und dass Reduktionsanstrengungen nicht zulasten zukünftiger Generationen auf morgen verschoben werden dürfen. Artikel 20a des Grundgesetzes sagt, dass Gesetzgeber, Behörden und Gerichte die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen haben. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Artikel 20a eine justiziable Rechtsnorm ist – also auch eine umfassende Klimaschutzverpflichtung für alle staatlichen Stellen. Klimaziele gehören nicht mehr in den reinen Ermessensspielraum des Gesetzgebers. Die Bundesregierung, welcher Couleur auch immer, hat sich an der Wissenschaft zu orientieren. Und an den Grundrechten. Folglich muss der Gesetzgeber einen schlüssigen Reduktionspfad vorgeben – bis zur Treibhausneutralität. Und zugleich muss er überlegen, wie Deutschland seinen CO2-Fußabdruck, inklusive der Emissionen im Ausland, in den Griff bekommt. Nur so erfüllt Deutschland seine Pflicht, die Grundrechte zu schützen und zukünftige Generationen vor drastischen Freiheitseinbußen zu bewahren, die durch immer dringlicher werdende Reduktionsmaßnahmen entstehen würden. Jetzt kann die nächste Generation effektiven Klimaschutz mit dem Rückenwind der Gerichte – wenn nötig – weiter einklagen.“
MEHR ZUM THEMA
bit.ly/3w2nSqJ
Shell & Co.
Keine vier Wochen nach dem Bundesverfassungsurteil hat ein Bezirksgericht in Den Haag Rechtsgeschichte geschrieben: Es verurteilte den britisch-niederländischen Konzern Shell dazu, den Ausstoß seiner CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent im Vergleich zu 1990 zu senken. Als Begründung führten die Juristinnen und Juristen an, dass sich ein Unternehmen weder heute noch morgen so verhalten soll, dass der Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht. Greenpeace hatte die Klage zusammen mit sechs Umweltschutzgruppen und rund 17.300 Menschen aus den Niederlanden angestrengt. In der fossil geprägten Wirtschaft sorgt dieser Richterspruch für beträchtliche Unruhe, denn: „Dieses Urteil warnt jedes Unternehmen, dass Geschäftsmodelle, die Umwelt, Natur oder Klima schädigen, nicht länger zulässig sind“, sagt Niklas Schinerl, Energieexperte von Greenpeace. Weltweit sind derzeit rund 1700 Klimaklagen anhängig, 40 davon gegen Energiekonzerne. Die Ära der Klimaschutzurteile hat gerade erst begonnen.