Du bist seit 40 Jahren mit Leib und Seele Greenpeacer. Wie kam es dazu?
Roland Hipp: Im Oktober 1983 habe ich einen Film über Dünnsäureverklappung in der Nordsee gesehen. Ich fand es spannend, dass sich einzelne Menschen gegen ein Unternehmen und deren Umweltzerstörung gewehrt haben. So bin ich bei der ehrenamtlichen Gruppe in Stuttgart gelandet. In der Satzung von Greenpeace steht, wir setzen uns für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen ein. Das war mein Antrieb. Es geht nicht nur um einzelne Kampagnenerfolge, sondern ums große Ganze, um unsere Lebensgrundlagen auf einem Planeten, der uns alles bietet: Wasser, Luft, Nahrung, Boden. Das alles zu schützen, auch für spätere Generationen, das hat mich immer angetrieben.
Wie definierst Du Erfolg?
Kampagnen haben kurz- und langfristige Ziele. Nehmen wir als Beispiel die Brent-Spar-Kampagne. Greenpeace wollte nicht nur die Versenkung dieses Öltanks verhindern, sondern das Bewusstsein schaffen, dass man Ölanlagen grundsätzlich nicht im Meer entsorgt. Wir wussten, dass dieses Thema auf der politischen Agenda stand. Kurzfristig hat der Einsatz der Greenpeace-Aktiven die Versenkung der Brent Spar verhindert. Viel wesentlicher: Drei Jahre später haben wir das langfristige Ziel erreicht, mit dem Versenkungsverbot bei der OSPAR-Konferenz. Ein anderes Beispiel ist der Antarktisschutzvertrag. Das war mein Einstiegsthema bei Greenpeace: Wir wollten einen Weltpark Antarktis installieren, um den Eiskontinent vor Rohstoffausbeutung zu schützen. Der Antarktisschutzvertag 1999 hat den Erfolg der Greenpeace-Kampagne besiegelt.
Was braucht es, um eine Kampagne erfolgreich zu machen?
Kampagnen können nicht kopiert werden. Jede Kampagne muss in der aktuellen Situation neu gestaltet werden. In jedem Fall muss sie verständlich für die Menschen sein, damit sie folgen können, ich nenne das Anschlussfähigkeit. Außerdem braucht es einen langen Atem: Eine einzelne Kampagne wird das langfristige Ziel allein nicht erreichen. Wir haben in den 80er-Jahren mit der Antiatomkampagne angefangen und erst vor kurzem den Ausstieg in Deutschland erreicht.
Wie bedeutsam ist für Dich die Anzahl der Unterstützenden?
Die Fördernden geben uns eine gewaltige Kraft. Tatsächlich hat Greenpeace Deutschland mehr Fördermitglieder als die CDU oder die SPD Mitglieder. Durch diesen immensen Rückhalt können wir einen hohen öffentlichen Druck bei Politik und Wirtschaft aufbauen. Und durch die finanzielle Unterstützung können wir langfristig planen. Von den Einnahmen in Deutschland flossen in 2022 rund 28,3 Millionen Euro in die internationale Kampagnenfinanzierung. Damit ist Greenpeace Deutschland die wichtigste Unterstützerin internationaler Kampagnenarbeit. Viele Fördermitglieder sind schon so lange dabei wie ich. Manche engagieren sich sogar über ihr eigenes Leben hinaus, sie bedenken uns in ihren Testamenten. Darin drückt sich eine immense Wertschätzung und eine Bindung an die Organisation aus. Umgekehrt haben wir eine große Verantwortung gegenüber den Fördernden. Wir arbeiten daher wissenschaftlich und faktenbasiert und gehen äußerst sorgsam mit Spenden um – sie machen uns unabhängig von Politik und Wirtschaft.
Wirkt Greenpeace generationenverbindend?
Wir haben in den Greenpeace-Gruppen Jugendliche, Erwachsene, Seniorinnen und Senioren – wir vereinigen das gesamte Altersspektrum und viele gesellschaftliche Milieus. Das ist auch in unserer Fördererschaft so. Unsere Themen beschäftigen alle Generationen.
Wie erlebst Du die Klimabewegung?
Sie ist durchaus heterogen. Viele kommen aus dem Umwelt- und Naturschutzbereich, anderen geht es vor allem ums Klima. Diese Vielfalt der Akteur:innen ist wichtig, denn dadurch sprechen Stimmen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen auch verschiedene Bevölkerungsgruppen an.
Haben sich die Schwerpunkte von Greenpeace im Laufe der Zeit verändert?
Energiefragen begleiten uns von Anfang an: Erst ging es zum Beispiel um die Atommüllverklappung, dann um Atomtransporte, schließlich um den Atomausstieg. Das Gleiche gilt für die Biodiversität: Wir haben uns seit der Gründung für den Schutz der Wale eingesetzt. An diesem Beispiel, an dieser einen Tierart, wollten wir durchkämpfen und aufzeigen, wie Arten generell geschützt werden können. Nicht zu vergessen unsere Friedensarbeit – sie war der Grund, weshalb Greenpeace überhaupt entstanden ist, als die ersten Greenpeace-Aktiven 1971 vor den Aleuten gegen US-Atombombentests protestiert hatten. Energie, Biodiversität und Frieden sind, so gesehen, unser roter Faden. Was sich geändert hat, ist die Breite der Themen – vom nachhaltigen Konsum bis hin zu grünen Finanzen.
Welche war für Dich persönlich die wichtigste Kampagne?
Die Brent-Spar-Kampagne war für mich prägend, weil sie in einem relativ kurzen Zeitraum einen direkten Erfolg erzielt und das langfristige Ziel erreicht hat. Wenn ich an größere Zeiträume denke, ist es der endgültige Atomausstieg in Deutschland. Nicht nur wegen der Gefahr von Atomkraft, nicht nur wegen des Atommülls, nicht nur wegen der permanenten radioaktiven Verschmutzung. Sondern, weil zentrale Großkraftwerke eine effiziente, unabhängige, dezentrale Energieversorgung verhindern. Wenn uns die Energiewende im viertgrößten Wirtschaftsland gelingt, hat das enorme Strahlkraft auf alle anderen Länder. So war es ja auch beim Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG, das Anfang 2000 die erneuerbaren Energien gepusht hat. Inzwischen ist es mehr als 50-mal in der Welt kopiert worden.
Was wünschst Du Dir für uns alle in den nächsten Jahren?
Greenpeace hat wesentlich dazu beigetragen, dass sehr viele Menschen ein Umweltbewusstsein entwickelt haben. Die Menschheit hatte rund 30 Jahre Zeit, die Klimakrise abzuwenden. Jetzt müssen wir gemeinsam einen Weg finden, schnell und effizient ins Handeln zu kommen.
Was wirst Du in der Zukunft machen?
Viel mehr Zeit mit der Familie verbringen, mich um meine Bienen kümmern – und vielleicht gibt es noch Projekte, an denen ich mich ehrenamtlich beteiligen werde.