Greenpeace

“Mehr Konsum bedeutet nicht mehr Glück”

Neben Roland Hipp verantworten seit Oktober 2016 zwei weitere, neue Geschäftsführer die Arbeit von Greenpeace: Sweelin Heuss und Martin Kaiser

Sweelin Heuss: Du bist ja schon seit fast 20 Jahren bei Greenpeace. Wie gelingt Dir ein grüner Lebensstil? Gibt es einen Geheimtipp?

Martin Kaiser: Geheimtipp, eher nein. Mir gelingt es dadurch, dass ich sage: Jeder kann mit seinem Lebensstil einen Beitrag dazu leisten, weniger Ressourcen zu verbrauchen. Da fühle ich schon eine Verantwortung und habe auch die Energie, das zu machen. Meine Kinder spornen mich am meisten an. Wir sind die Generation, die noch handeln und das Ruder rumreißen kann – und das ist meine Motivation.

Sweelin: Ist es schwierig, mit Kindern ökologisch zu leben?

Martin: Erstaunlicherweise nicht, außer in der Pubertät, wo plötzlich Fleischkonsum extrem angesagt war. Wenn nicht jeden Tag irgendein Fleisch auf dem Tisch stand, war das ein Problem. Aber mittlerweile hat sich das gelegt und ins Gegenteil verkehrt. Jetzt gibt es bei uns zu Hause vom Veganer bis zum Vegetarier alles.

Sweelin: Ein Teil meiner Familie lebt in Malaysia und Brasilien, die müssen ganz anders darüber nachdenken, was sie sich leisten können. Deshalb ist mir unser westlicher Konsum umso mehr bewusst. In meiner rebellischen Zeit war ich 15 Jahre lang Vegetarierin, weil ich die Massentierhaltung nicht haltbar finde. Heute bin ich Flexitarierin. Ich koche gerne, mein Mann und ich ernähren uns Bio. Meine Kleider trage ich sehr lange und gebe sie weiter an Freunde oder als Spende.

Sweelin Heuss ist als Geschäftsführerin Öffentlichkeit und Fundraising neu zu Greenpeace gestoßen. Die 47-Jährige hat sich zuvor für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen eingesetzt und Unternehmen in ihrer sozial­ökologischen Verantwortung beraten.
Sweelin Heuss ist als Geschäftsführerin Öffentlichkeit und Fundraising neu zu Greenpeace gestoßen. Die 47-Jährige hat sich zuvor für die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen eingesetzt und Unternehmen in ihrer sozial­ökologischen Verantwortung beraten.

Martin: Muss man viel wissen über Umweltzerstörung, um sein Verhalten zu ändern? Was heißt das für Greenpeace?

Sweelin: Vor allem müssen wir zeigen, dass es sich lohnt, für die Schönheit unserer Welt zu kämpfen. Da Zusammenhänge immer komplexer werden, besteht die Gefahr, dass Menschen sich überfordert fühlen und sich innerlich zurückziehen, weil sie glauben, nichts verändern zu können. Und wir müssen den Menschen auch Angebote machen, wie sie selbst aktiv und Teil einer globalen Bewegung werden können.

Martin: Ja, aber wir müssen auch immer wieder den Finger in die Wunde legen, Skandale aufdecken, Energie- und Automobilkonzerne anprangern. Auch der globale Handel spielt eine Rolle. Tatsächlich kann heute keiner mehr wissen, was woher stammt. Zudem sind viele Produkte nicht sozial- und umweltverträglich hergestellt. Beispielsweise ist der Anteil an fair hergestellten Textilien extrem niedrig.

Sweelin: Nehmen wir zum Beispiel eine Hose. An der Fertigung sind etliche Länder beteiligt. Bis sie bei uns im Regal liegt, hat sie eine globale Reise hinter sich, die kaum ein Konsument durchblicken kann. Deshalb müssen wir auf mehr Transparenz in der Lieferkette drängen. Nur dann kann der Kunde eine bewusste Kaufentscheidung fällen. Weltweit werden inzwischen mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr produziert, das muss man sich einmal vorstellen. Bei der Produktion werden nicht nur Unmengen von Ressourcen verschwendet, sondern auch Böden und Flüsse vergiftet. Wer billige und unökologisch produzierte Kleidung kauft, trägt dafür Verantwortung. Das wollen wir den Verbrauchern vor Augen führen. Wir alle sollten weniger, aber gut hergestellte Mode kaufen und diese länger tragen.

„Weniger Fleischkonsum ist ein konkreter Beitrag, Ressourcen und CO2 einzusparen.“

Martin Kaiser, Geschäftsführung Kampagnen, Greenpeace e. V.

Martin: Das gleiche gilt für Fleisch: Weniger, dafür besser produziertes Fleisch – ohne Qual und ohne Urwaldzerstörung. Denn in jedem herkömmlichen Stück Fleisch steckt Soja aus Lateinamerika. Tatsächlich geht der Fleischkonsum in Deutschland leicht zurück, aber das Irrsinnige ist, dass die Produktion dennoch steigt, weil Deutschland mit zu den Exportweltmeistern von Billigfleisch gehört.

Sweelin: Wenn wir beim Fleischkauf direkt erkennen könnten, woher das Fleisch kommt und wie es produziert wird, würden wir bewusster konsumieren und freiwillig weniger essen. Davon bin ich überzeugt. Deswegen brauchen wir eine verpflichtende Tierhaltungs- und Herkunftskennzeichnung.

Martin: Weniger Fleischkonsum ist ein konkreter Beitrag, Ressourcen und CO2 einzusparen. Viele mögen denken, dass es nichts bringt, ein-, zwei- oder dreimal pro Woche auf Fleisch zu verzichten. Doch diese kleinen Beiträge summieren sich zu einer Kette von Handlungen, die zusammengenommen globale Auswirkungen haben. Bewusstes Konsumverhalten führt wiederum dazu, dass Unternehmen sich ändern. Erfolge müssen durch Gesetze abgesichert werden – damit das gelingt, macht Greenpeace Druck auf die Politik.

Martin Kaiser hat viele Jahre für Greenpeace nationale und internationale Kampagnen zu den Themen Klima, Wälder, Meere und Arktis geleitet. Als Geschäftsführer ist der 51-Jährige jetzt für Kampagnen zuständig
Martin Kaiser hat viele Jahre für Greenpeace nationale und internationale Kampagnen zu den Themen Klima, Wälder, Meere und Arktis geleitet. Als Geschäftsführer ist der 51-Jährige jetzt für Kampagnen zuständig

Sweelin: Martin, Du kommst gerade vom Klimagipfel aus Marokko zurück?

Martin: Ja, bei der Konferenz in Marrakesch herrschte Entschlossenheit, es gab starke Signale: Knapp 50 der ärmsten Länder wollen ihre Energieversorgung bis spätestens Mitte des Jahrhunderts vollständig auf erneuerbare Energien umstellen – auch, um damit unabhängiger zu werden. Gerade in Zeiten globaler Krisen ist Energieunabhängigkeit ein hohes Gut. Wenn die Energieversorgung nicht in der Hand eines Monopols oder Oligopols liegt, ist sie viel weniger anfällig für Korruption. Das ist der Charme der Energiewende von unten – sie setzt auf dezentrale Machtstrukturen. Für Greenpeace ist der globale Klimawandel die Herausforderung der Zukunft: Wir brauchen Veränderungen beim Verkehr, bei Energie, in der Land- und Forstwirtschaft – mit einem klaren Fokus auf den Klimaschutz. Denn der Klimawandel wird massive Auswirkungen darauf haben, wie wir zusammenleben, wie Politik gemacht wird.

„Denn mehr Konsum bedeutet nicht mehr Glück.“

Sweelin Heuss, Geschäftsführung Kommunikation und Fundraising, Greenpeace e. V.

Sweelin: Deutschland behauptet ja immer noch, eine Vorreiterrolle zu spielen, dabei ist der CO2-Ausstoß im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

Martin: Das stimmt. Voran gehen inzwischen andere, ein Beispiel: Die Ankündigung Chinas, im großen Maßstab auf Elektromobilität zu setzen, war ein Donnerschlag für die deutsche Automobilindustrie. Das ist ein riesiger Schritt nach vorne, der bei uns die Konzerne aufgeschreckt hat. Jetzt soll in Deutschland ein flächendeckendes Strom-Tanknetz aufgebaut werden, hoffentlich betrieben mit 100 Prozent Ökostrom.

Sweelin: Die Triebfedern von Unternehmen sind bisher meist nur Shareholder Value und Wachstum. Greenpeace setzt sich ein gegen diese einseitige Logik und gegen die negativen Umweltfolgen, die damit einhergehen. Gleichzeitig müssen wir Verbraucher freiwillig unsere Verhaltensmuster ändern. Denn mehr Konsum bedeutet nicht mehr Glück. Das ist genauso eine Illusion wie ein vom Ressourcenverbrauch entkoppeltes Wachstum. Mit immer höherem Konsum schaden wir anderen Menschen auf der Welt. Denn sie arbeiten unter sozial unfairen Bedingungen, und ihre – und unsere – Umwelt wird irreparabel geschädigt. Daran müssen wir denken. Nehmen wir das Beispiel unserer deutschen Zivilgesellschaft, die zu großem Engagement und Einsatz fähig ist: Die vielen ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer leisten einen Dienst von Mensch zu Mensch. So sollten wir auch unseren verantwortlichen Konsum begreifen – als Dienst von Mensch zu Mensch. Damit wäre ein großer Schritt getan.