Uwe Linke lebt gern ohne festen Boden unter den Füßen, sieben von zwölf Monaten ist er auf dem Wasser zu Hause. „Das ist mein Element, da fühl‘ ich mich wohl, auch bei Schietwetter“, sagt der schlanke Mann mit dem Wuschelhaar. Die von Erfrierungen blau gefärbte Nase, die gegerbte Haut und die roten Wangen verraten, dass er sich zeitlebens der Witterung ausgesetzt hat. Schon als Kind ruderte Uwe in einem kleinen Boot bei Dessau auf der Elbe. Doch als kritischer Kopf durfte er seine Leidenschaften, Segeln und Surfen, in der DDR nicht ausleben. Nach dem Mauerfall tat er das dann aber umso mehr.
Steckbrief der beluga II
Leergewicht: 140 Tonnen
Länge: 33,30 Meter
Tiefgang: 1,90 Meter
Höhe: 26 Meter
Höchstgeschwindigkeit: unter Segel 10 Knoten (18,5 Stundenkilometer), unter Motor 8 Knoten (15 Stundenkilometer)
Ausstattung: mobiles Bordlabor
Jährliche Betriebskosten: 90.000 Euro (ohne Lohnkosten)
Einsatz: bis neun Monate im Jahr
In den 90er-Jahren zog der gelernte Elektrotechniker um die Welt, jobbte als Surf- und Segellehrer und genoss es, unabhängig und unterwegs zu sein. Bis er im Jahr 2004 beschloss, den „Zettel“ zu machen, wie er das Kapitänspatent nennt. Bei einem der Lehrgänge traf er den damaligen Leiter der Greenpeace-Aktionsabteilung, Peter Küster. „Komm mal vorbei, wir bauen gerade ein neues Schiff“, raunte ihm dieser ins Ohr. Weil Linke zu der Zeit knapp bei Kasse war und sich obendrein auch noch das erste Kind ankündigte, kam ihm das Angebot sehr gelegen. Also machte sich der politisch linke Friedensbewegte auf den Weg zu den Ökos, um sich den werdenden Segler anzuschauen. Seit diesem Moment hat ihn die „Beluga II“ im Griff. Und er sie.
Der 55-Jährige liebt es, auf Flüssen in Europa zu fahren, sich auf der Ost- und Nordsee oder auch mal auf dem Mittelmeer für die Umwelt einzusetzen. Am liebsten unter voller Takelage. „Die Beluga ist ein großartiger Segler, das ist genau mein Ding“, sagt Linke und zeigt nach vorn aufs Deck. Im Moment ist der Mast gelegt, das Schiff komplett nackt. Alle Segel, Bäume und Gaffel liegen verpackt im Greenpeace-Aktionslager. „Das Schiff hat Winterpause, wir aber nicht.“
Mit diesen Worten dreht er den Kapitänsstuhl um 180 Grad, schnappt sich eine der vielen Brillen, die überall auf der Brücke herumliegen und die Kladde mit den vollgekritzelten Blättern: „Das sind die To-do-Listen für die nächsten Wochen“, erklärt der Seemann und liest vor: Deck und Bordwände streichen, neue Kabel im Mastinneren verlegen, Lüftungsanlage für die Toilette sowie Kläranlage für Abwasser einbauen, Maschinen überholen, Ersatzteile bestellen, in der Werft neue Ruderanlage einbauen lassen. Damit fliegt die Kladde wieder in die Ecke.
Über die Jahre hat sich der inzwischen zweifache Vater ein dickes Fell zugelegt, denn bei seiner Arbeit muss er ruhig und besonnen bleiben, auch wenn es Auseinandersetzungen mit der Polizei, wütenden Fischern oder auch mal Konflikte an Bord gibt. „Mit der Enge kommen nicht alle klar“, sagt Linke, der am liebsten mit Greenpeace-Ehrenamtlichen aus unterschiedlichen Ländern fährt – um sein Englisch fit zu halten und um ihnen zu zeigen, wie wertvoll ein Schiff für die Greenpeace-Arbeit ist. Die aufregendste, weil komplizierteste Reise führte ihn 2010 über St. Petersburg nach Moskau. Dort nahmen die Aktiven Wasserproben und wiesen nach, wie verschmutzt die russischen Flüsse sind. „Wir waren das erste westliche Schiff, das bis in die russische Hauptstadt fahren durfte“, sagt er und fügt hinzu: „Ein Schisser darfst du nicht sein, das würde sich sofort auf die Mannschaft übertragen und dann wäre der Schiffbruch programmiert.“
Einer, der selbst in brenzligsten Situationen keine Angst hat, steht plötzlich draußen am Kai: Harald Zindler, einer der Mitbegründer von Greenpeace Deutschland. Schon im nächsten Moment sind beide in ein Fachgespräch über alternative Antriebe vertieft, weil die „Beluga II“ perspektivisch einen Elektromotor bekommen soll. Unklar ist aber noch, welche Energiequelle diesen speisen soll. „Ihr müsst auf Wasserstoff setzen“, sagt Zindler, „das ist der einzige Träger, der nicht endlich ist.“ Linke ist da eher skeptisch, er weiß, wie schwer es sein dürfte, den Wasserstoff unterwegs zu beschaffen. Doch Zindler wäre nicht Zindler, wenn er locker ließe: „Da muss Greenpeace mutig vorangehen und zeigen, dass man die Schifffahrt revolutionieren kann.“
Linkes liebster Antrieb ist und bleibt der Wind, auch wenn der gebürtige Dessauer für sein Leben gern an Oldtimern oder Schiffsmotoren herumschraubt. Deshalb wird, wann immer es geht, aufgetakelt. Da der Kapitän das Leichtgewicht der Mannschaft ist, zieht die Crew ihn jedes Mal an einem Seilzug nach oben, damit er dort das Segelsetzen vorbereiten kann.
Linke ist Matrose, Hausmeister, Techniker, Psychologe, Koch, Aktivist, Steuermann – und Kapitän, der die Verantwortung trägt. Zum Beispiel auch für die Dokumentation, Papierlage genannt. Aus dem Unterschrank nimmt er einen dicken Aktenordner heraus, in dem alle behördlichen Genehmigungen für technische Geräte versammelt sind, die er regelmäßig aktualisieren muss. Zum Beispiel Feuerlöscher, Kompass, Funkanlage, Taue oder auch Trink-wasser. Sind die Unterlagen nicht auf dem neuesten Stand, könnte es Ärger geben.
© Fotos: Jonas Wresch
So wie manchmal in der Kampagnenarbeit. „Die Teams wollen immer das Maximale herausholen, wenn es nach ihnen geht, müsste die Beluga auf den Mond fliegen“, sagt Linke und meint: näher ran, weiter raus, länger fahren, mehr machen. In solchen Momenten muss er – aus Sicherheitsgründen, aber auch um die Crew und das Schiff zu schützen – entschieden auf die Bremse treten. „Wir gehen Risiken ein“, sagt Linke und erzählt beispielsweise vom Protest für den Schutz des Klimas vor der Hamburger Elbphilharmonie beim G20-Gipfel 2017 – der frühere US-Präsident Trump hatte damals den Ausstieg aus dem Pariser Klima-schutzabkommen angekündigt. „Ich muss aber immer einen Spielraum haben und wissen, wie ich uns aus einer schwierigen Situation unbeschadet wieder herausmanövrieren kann.“ Da ist Linke kompromisslos und ganz der Käpt’n.