Das Undenkbare schaffen – Das Märchen vom Klimaschutz

Automobilindustrie

Lobbyarbeit statt Ingenieurskunst: Deutsche Autokonzerne tricksen und senken CO2-Ausstoß nur auf dem Papier

Es war einmal eine Zahl: 95. So viel Gramm CO2 sollten Neuwagen im Jahr 2020 pro Kilometer noch ausstoßen dürfen. Im Jahr 2008 klang das märchenhaft. Als Vertreterinnen und Vertreter der EU und ihrer Mitgliedstaaten den Grenzwert damals festlegten, pusteten Autos im Schnitt noch 60 Prozent mehr Klimagase in die Luft. Würde das Ziel erreicht, so die Hoffnung, würde die Autobranche endlich auch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

DAS UNDENKBARE SCHAFFEN:

Für viele Umweltschutzthemen hat Greenpeace Zukunftsszenarien entwickelt. Wie eine gerechte, nachhaltige Welt aussehen kann, und wie wir sie zum Beispiel in den Bereichen Mobilität, Landwirtschaft, Wälder oder Energie erreichen können, lesen Sie unter: greenpeace.de/plaene-fuer-eine-bessere-zukunft

Neulich wurde abgerechnet, vorläufig zumindest. Und viele mussten sich die Augen reiben: Die Konzerne Daimler und BMW vermeldeten stolz, die europäischen CO2-Grenzwerte einzuhalten, Volkswagen schrammt knapp dran vorbei. Weniger als ein Gramm pro Kilo-meter und Auto läge man drüber, hieß es in Wolfsburg. Das bedeutet immer noch Strafzahlungen in dreistelliger Millionenhöhe, aber weit weniger als viele ursprünglich erwartet hatten. Haben die deutschen Autobauer also wirklich geliefert beim Klimaschutz? Schön wär’s! Greenpeace hat die europäischen Zulassungszahlen aus dem vergangenen Jahr analysiert.

Schöngerechnet
Beim Fahren auf der Straße sanken die Emissionen seit dem Jahr 2006 tatsächlich nur um einen Bruchteil der offiziellen Angaben. Kein Wunder also, dass der Verkehrssektor seit Jahren nicht vorankommt beim Klimaschutz. Den ganz überwiegenden Teil ihrer angeblichen CO2-Ersparnis für die gesamte Fahrzeugflotte haben Volkswagen, Daimler und BMW sich durch Hintertürchen erschlichen: Hersteller besonders schwerer Autos wie Daimler und BMW etwa dürfen mehr Klimagase ausstoßen als Produzenten von Kleinwagen. Die schmutzigsten fünf Prozent der verkauften Autos – also hoch motorisierte Sportwagen oder schwere SUVs – sind bislang erst gar nicht Teil der Rechnung. Und jedes verkaufte Auto mit Elektroantrieb zählt gleich mehrfach mit null Gramm CO2-Ausstoß – ebenso Hybridmodelle, die in der Realität oft kaum elektrisch gefahren werden.

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Anfang 2021 für einen schnellen Verbrenner­ausstieg

SAUBERE MOBILITÄT!

Der Anteil des Verkehrs am deutschen CO2-Ausstoß steigt seit Jahrzehnten – inzwischen macht er ein Fünftel (!) aus. Es braucht eine grundlegende Mobilitätswende: Entscheidend ist, die Zahl der Autos auf das Notwendigste zu minimieren und es Menschen – gerade in Städten – zu ermöglichen, schnell und sicher zu Fuß, mit dem Rad oder mit Bus und Bahn von A nach B zu kommen. Alle Fahrzeuge, die noch gebraucht werden, müssen elektrisch, also emissionsfrei fahren. Zudem muss ein Großteil des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene verlagert werden. Die Politik muss deshalb einen Stopp für Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotor bis spätestens 2025 und ein Investitionspaket für ÖPNV, Bahn und Radverkehr auf den Weg bringen. Greenpeace fordert zudem Tempolimits von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen, 80 auf Landstraßen und 30 in Städten sowie klimaschädliche Subventionen für Diesel und Dienstwagen zu streichen. Mehr Informationen dazu unter: greenpeace.de/verkehrswende

40 Prozent mehr Sprit
Doch das sind längst nicht alle Möglichkeiten, mit denen Autobauer Klimaschutz simulieren. Inzwischen können sie sich mit anderen Herstellern zusammenschließen und müssen die Grenzwerte dann nur in diesem Verbund erreichen. Das wird entsprechend einfacher, wenn man – wie VW –mit E-Autobauern kooperiert. Deren Autos fließen mit null in die Berechnung ein. Und dann sind da noch die offiziellen Verbrauchsmessungen auf dem Prüfstand. Die haben sich inzwischen so weit von der Realität entkoppelt, dass zwischen Rollenprüfstand und Straße ein Unterschied von 40 Prozent klafft. Kein Wunder also, dass die realen Emissionen der drei deutschen Hersteller die EU-Grenzwerte zuletzt um mehr als die Hälfte überschritten.

Im Fall von Volkswagen ist das besonders dreist. Über Jahre hatte Greenpeace den Konzern mit einer internationalen Kampagne zu mehr Klimaschutz gedrängt. 2013 schließlich stellte sich der damalige VW-Chef Martin Winterkorn in einem Gespräch mit Greenpeace unmissverständlich hinter den EU-Grenzwert von 95 Gramm – „ohne Wenn und Aber”, wie Winterkorn sich damals zitieren ließ. Rückblickend zeigt sich, wie viele „Aber“ die Auto-branche in die europäischen Regeln lobbyiert hat. Und wie viele Klimaschäden der weltweit zweitgrößte Autobauer damit Jahr für Jahr letztlich anrichtet. Allein durch die ausgenutzten Schlupflöcher und Hintertüren der 2020 knapp drei Millionen europaweit verkauften Neuwagen verursacht VW 45 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich – mehr als ein Zehntel dessen, was Australien im Jahr ausstößt. „Nicht geniale Ingenieurskunst hat die vermeintliche CO2-Reduktion ermöglicht, sondern harte Lobbyarbeit“, erklärt Benjamin Stephan, Verkehrs-experte bei Greenpeace.

Ökologisch fahrlässig
Die deutschen Autobauer, allen voran Volkswagen, bekennen sich in letzter Zeit immer deutlicher zur Elektromobilität. Gleichzeitig aber wollen sie nicht von ihren klimaschädlichen Diesel- und Benzinantrieben lassen. Noch mindestens 20 Jahre, also bis 2040, will VW Autos mit Verbrennungsmotor verkaufen. Obwohl die Klimakrise auch hier in Deutschland längst unübersehbar ist. Und obwohl klar ist, dass die eigentliche Aufgabe der Autoindustrie darin besteht, Lösungen für eine grundlegend andere Mobilität zu entwickeln. Die Autoindustrie muss sehr bald einen Weg finden, wie sie in der Klimakrise vom Problem zu einem Teil der Lösung wird. Noch in den nächsten Jahren Milliarden Euro in eine neue Generation von Verbrennern zu investieren, wie es etwa VW plant, ist wirtschaftlich riskant und ökologisch fahrlässig. Schafft die Autobranche es nicht allein, sich in den nächsten Jahren vom Verbrennungsmotor zu verabschieden, werden das die kommende Bundesregierung und die EU regeln müssen.

Mehr Informationen zur Kampagne finden Sie unter
greenwire.greenpeace.de/vw-kampagne

und die Studie unter
act.gp/3exNVzZ

Autor: Gregor Kessler
© Titelfoto: Gordon Welters/Greenpeace