Das Undenkbare schaffen – Neun für das Klima

Klagen

Um Deutschland zu konsequentem Klimaschutz zu verpflichten, wagen junge Menschen den Gang nach Karlsruhe

AKTUELL

29.04.2021: Erfolg in der Klimaklage! Das Bundesverfassungsrecht bestätigt der jungen Generation eine Verletzung ihrer Freiheitsrechte und erklärt, dass das Bundesklimaschutzgesetz aus ihrer Sicht zu kurz greift. Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber deshalb, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. (Zur Presserklärung des Bundesverfassungsgerichts)

Sie sind jung und entschlossen: Neun engagierte Menschen, die schon heute von der Klimakrise betroffen sind, ziehen mithilfe von Greenpeace und Germanwatch gegen die Bundesregierung vors Bundesverfassungsgericht. Mit diesem Schritt kämpfen sie für ihr Recht auf eine menschenwürdige Zukunft. Konkret wenden sie sich gegen das Bundesklimaschutzgesetz von 2019, in dem die Bundesregierung ihr unzureichendes Klimaziel festgeschrieben hat, bis 2030 die Treibhausgase um nur 55 Prozent zu reduzieren. Ein erster Erfolg: Karlsruhe hat die Klage nicht gleich abgelehnt, sondern Bund und Länder aufgefordert, Stellung zu nehmen. Die Anwältin der Klagenden hat auf die Stellungnahmen bereits eine Erwiderung eingereicht.

DAS UNDENKBARE SCHAFFEN:

Für viele Umweltschutzthemen hat Greenpeace Zukunftsszenarien entwickelt. Wie eine gerechte, nachhaltige Welt aussehen kann, und wie wir sie zum Beispiel in den Bereichen Mobilität, Landwirtschaft, Wälder oder Energie erreichen können, lesen Sie unter: greenpeace.de/plaene-fuer-eine-bessere-zukunft

Eine der Klagenden ist Franziska Blohm, deren Vater im Alten Land bei Hamburg einen Obsthof betreibt. „Wir merken schon jetzt die Auswirkungen der Klimakrise, häufigere Wetterextreme wie Hitzewellen, Dürren oder Starkregen“, sagt sie. Die konkreten Schäden sind sichtbar: bislang unbekannte Schädlinge oder Früchte, die Sonnenbrand bekommen. „Es ist unklar, ob die nächste Generation hier noch Äpfel anbauen kann.“ Aus Angst um ihre Zukunft beteiligt sich Franziska an der Klimaklage. „Wir wollen nicht länger ohnmächtig sein, sondern laut, damit sich etwas ändert!“

Darum geht es auch dem brandenburgischen Biobauern Lucas Lütke Schwienhorst. Die zunehmenden Hitzetage machen ihm und seinen Rindern zu schaffen. Mit der Klage will er erreichen, dass sich die Leute mit der Klimakrise auseinandersetzen. „Viele Menschen haben sich der Natur entfremdet, sie können Roggen nicht von Weizen und den Gimpel nicht vom Zaunkönig unterscheiden. Aber nur wer weiß, was da wächst oder wer da fliegt, wird die Natur schätzen und schützen.“

Auch Sophie Backsen ist auf einem Biohof zu Hause. Sie lebt auf der rundum eingedeichten Nordseeinsel Pellworm. Dürresommer und der steigende Meeresspiegel bedrohen ihre Familie existenziell. „Deutschland muss als Vorreiter mit gutem Beispiel für andere Länder vorangehen“, sagt die Studentin. „Bei unserer ersten Klimaklage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Berlin haben die Richter und Richterinnen gesagt, dass Klimaschutz ein Grundrecht ist, deshalb haben wir beschlossen, jetzt vors Bundesverfassungsgericht zu gehen.“

Franziska, Sophie, Lucas und die anderen fiebern dem Jahresende entgegen, dann könnte sich ihre Hoffnung erfüllen, dass das Gericht der Politik einen konsequenten Klimaschutz verordnet. Das wäre grandios.

Mehr Infos finden Sie unter:
greenpeace.de/klimaklage-aktuell

Zum offenen Brief von Greenpeace an die Bundesregierung 

Grundrecht auf Zukunft: Interview mit Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen

KLIMAKLAGEN RUND UM DEN GLOBUS

Die Idee, Regierungen per Gericht zu mehr Klimaschutz zu zwingen, geht von den USA aus um die Welt. Hier einige Beispiele:

Niederlande: 2015 verpflichtete ein Gericht die Regierung, den CO2-Ausstoß bis Ende 2020 um mindestens 25 Prozent gegenüber 1990 zu senken, bis 2050 schrittweise um mehr als 90 Prozent.

Peru: Mithilfe von Germanwatch verklagt ein peruanischer Landwirt den Stromkonzern RWE, einen der weltweit größten CO2-Emittenten. Er befürchtet, dass das infolge der Erderhitzung schmelzende Gletscherwasser sein Dorf überfluten könnte. Das Gericht hat eine Beweisaufnahme vor Ort angeordnet.

Irland: Das Oberste Gericht zwingt die Regierung, einen neuen Klimaplan mit konkreten Schutzmaßnahmen aufzustellen.

Schweiz: Mit Unterstützung von Greenpeace Schweiz ziehen die Klimaseniorinnen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Sie werfen ihrer Regierung vor, zu wenig für den Klimaschutz zu tun, weshalb sie ihre Gesundheit gefährdet sehen.

Portugal: Nach verheerenden Waldbränden verklagen sechs Kinder und Jugendliche 33 Länder vor dem Europäischen Gerichtshof, da diese ihren Treibhausgasausstoß nicht genügend reduzieren.

Frankreich: Historischer Sieg: Das oberste Verwaltungsgericht verurteilt die Untätigkeit der französischen Regierung und fordert ambitioniertere Klimaschutzmaßnahmen. Greenpeace Frankreich und 2,3 Millionen Menschen unterstützen die Klage.

Australien: Acht Jugendliche und eine 86-jährige Nonne wollen der Umweltministerin Sussan Ley per Klage das Recht absprechen, neue Kohleprojekte zu genehmigen.

Belgien: Rund 60.000 Menschen verklagen ihre Regierung wegen Nachlässigkeit im Umgang mit der Klimakrise.

© Titelfoto: Nicolas Chauveau / L’Affaire du Siècle