Harald Welzer, 61, ist Soziologe und Sozialpsychologe sowie Mitbegründer und Direktor der gemeinnützigen Stiftung Futurzwei, die alternative Lebensstile und Wirtschaftsformen aufzeigt und fördert. Welzer gibt die gleichnamige Zeitschrift heraus, lehrt an verschiedenen Hochschulen und hat mehrere Bücher über
den Klimawandel publiziert.
Herr Welzer, warum fällt es vielen Menschen so schwer, sich klimafreundlicher zu verhalten?
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Ein entscheidender ist die 24-Stunden-Dauerbeschallung mit dem ersten Gebot unserer Wohlstands- und Wachstumsgesellschaft: Du sollst kaufen!
Wie kann man die Menschen
trotzdem erreichen?
Ganz bestimmt nicht mit apokalyptischer Rhetorik. Alarmistische Befunde bewirken das Gegenteil dessen, was man erreichen will. Die Leute merken bewusst oder unbewusst, dass ihr Lebensstil bedroht wird, und sagen sich: Jetzt erst recht! Psychologisch ist das nachvollziehbar – mit negativer Kommunikation kann man in keinem Fall positive Reaktionen erzeugen.
Wie also?
Wir müssen Handlungsmöglichkeiten bieten, anhand von konkreten und konstruktiven Beispielen zeigen, was machbar ist. So lässt sich das Gefühl der Machtlosigkeit überwinden. Und wir sollten dort hinschauen, wo sich in der Gesellschaft etwas tut, zurzeit passiert in einigen Betrieben richtig viel in punkto Nachhaltigkeit. Diese Ansätze sollten wir positiv unterstützen.
Was ist wichtiger, dass die Menschen ihren privaten Konsum verändern oder sich politisch engagieren?
Wenn wir die Klimakrise in den Griff bekommen wollen, brauchen wir beides: Wir müssen unseren privaten Konsum ändern und als Bürger und demokratischer Souverän Druck machen – demonstrieren, Petitionen unterschreiben, Abgeordnete konfrontieren. Die junge Generation macht es uns gerade vor.
Trotz der Massen, die auf den Straßen mehr Klimaschutz fordern, ist die Politik noch nicht aufgewacht. Die Politiker verstehen immer noch nicht die Dimension des Problems. Ohne die Fridays For Future wäre noch nicht mal das schwache Klimapaket zustande gekommen. Die Regierung formuliert nur Ziele, die weit in der Zukunft liegen. Was wir sehen, ist eine Simulation politischen Handelns. Das ist wie bei einem Junkie, der ständig versichert: Nächstes Jahr hör’ ich ganz bestimmt auf. Dem glaubt auch keiner. Andere Teile der Gesellschaft sind da längst weiter. Viele Leute wissen, dass sie ihren Lebensstil ändern müssen, dass Wachstum und Klimaschutz nicht zusammengehen. Mit dieser Wohlstandslüge muss endlich Schluss sein!
Kommen jetzt Verzicht und Verbote ins Spiel?
Genau, aber anders als gedacht: Wir verzichten ja im Status quo im großen Stil – zum Beispiel in völlig verstopften Großstädten auf Ruhe, Sicherheit, gute Luft, Platz. In autofreien Städten würden wir mehr Lebensqualität genießen. Mein Lieblingsbeispiel ist die Schweizer Bahn: Das Angebot ist so großartig, dass die Leute gern ihr Auto stehen lassen oder gleich ganz abschaffen.
Und wie stehen Sie zu Verboten?
Über Verbote müssen wir viel offensiver reden. Ohne stabiles Ordnungsrecht würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Es garantiert unsere Freiheit, man denke nur an das Schusswaffen- und Rauchverbot. Für mich ist klar, dass die Menschen erfahren müssen, was auf sie zukommt – aber eben mit der Betonung auf den Zugewinn an Freiheit und Lebensqualität. Dafür braucht es einen Perspektivwechsel.