Silke Backsen ist enttäuscht. Nach fünfstündiger Verhandlung hat das Verwaltungsgericht Berlin ihre Klage abgewiesen. „Wir sind schon jetzt von der Klimakrise betroffen – ganz konkret. Wie schlimm soll es denn noch werden?“ fragt die Klägerin und Ökolandwirtin von der Insel Pellworm (siehe GPN 4.18 und 4.19).
Für die Backsens kann die verfehlte Klimapolitik existenzbedrohend sein, denn schon heute müssen sie aufgrund von Folgen der globalen Erhitzung, wie steigendem Meeresspiegel, Hagel oder Dürren, Ernteverluste hinnehmen. Die eingedeichte Nordseeinsel laufe bei Starkregen voll wie eine Badewanne, berichtet die Pellwormer Familie – und je höher der Meeresspiegel, umso schlechter könne das Hochwasser wieder ablaufen. Wie schlimm die Auswirkungen auch andernorts schon heute sind, machte Apfelbauer Claus Bohm aus dem Alten Land klar: Er präsentierte einige seiner schwarzfleckigen Äpfel, die im Sommer Sonnenbrand bekommen hatten. Außerdem berichtete er, dass er vier Hektar Kirschbäume abholzen musste – Schädlinge, die früher im Alten Land nicht heimisch waren, hatten sie befallen.
Noch nicht schlimm genug
Die Backsens klagten zusammen mit Greenpeace und zwei weiteren Bauernfamilien, die in Brandenburg und im Alten Land ökologischen Landbau betreiben. Alle drei Klägerfamilien sehen ihre Grundrechte auf Gesundheit, Berufsfreiheit und Eigentumsgewährleistung verletzt. Deshalb wollten sie die Bundesregierung mit der Klimaklage vor dem Berliner Verwaltungsgericht zwingen, das selbst gesteckte CO2-Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2020 doch noch einzuhalten.
Doch der vorsitzende Richter sprach den drei Familien die Klagebefugnis ab, da ihre Grundrechte in diesem konkreten Fall noch nicht beeinträchtigt seien. Das Gericht müsse die Handlungsspielräume der Regierung respektieren. Zudem wertete er die auf Kabinettsbeschlüssen basierende Klimapolitik der Bundesregierung als eine politische Absichtserklärung und nicht als rechtsverbindlich und daher nicht einklagbar.
Für Roda Verheyen fühlt sich die juristische Niederlage dennoch fast wie ein Sieg an: „Wir haben viel erreicht“, sagt die Hamburger Anwältin für Umweltrecht, die Greenpeace und die drei Bauernfamilien beim Prozess vertreten hat. Denn erstmals habe ein deutsches Gericht festgestellt, dass Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern durch die Folgen der Erderhitzung verletzt sein könnten. Auch Greenpeace sieht in dem Urteil einen Teilerfolg, da das Gericht Klimaklagen als prinzipiell zulässig bewertet – ein Novum in Deutschland. Die Regierung hat im Herbst 2019 nun ein Klimaschutzgesetz verabschiedet. „Die Gesetzeslage hat unsere Klimaklage überholt. Doch wir verstehen das Urteil als Auftrag, der Regierung beim Thema Klimaschutz weiter auf die Finger zu schauen”, sagt die Greenpeace-Klimaexpertin Anike Peters.
Präzedenzfall mit Folgen
Roda Verheyen weiß, dass man für so komplizierte juristische Verfahren einen langen Atem braucht: Im ersten Anlauf klappt es bei einschneidenden Änderungen im Umweltrecht nur selten. Aber auch wenn Greenpeace und die Klägerfamilien nicht in Berufung gehen, werden sie nicht lockerlassen. „Klimaschutz ist Grundrechtsschutz“, sagt Verheyen. Zwar sei noch keine Verletzung angenommen worden, aber das sei künftig nicht ausgeschlossen. „Die deutsche Klimaschutzpolitik muss sich danach richten“, erklärt die Umweltanwältin.
Klimaziele verfehlt
Ungenügend: Mit den Maßnahmen des Klimapakets wird der deutsche CO2-Ausstoß nicht 2020, sondern frühestens 2025 um 40 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden können. Das belegt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag von Greenpeace. Umso nachdrücklicher fordert Greenpeace, den Ausstieg aus der Kohle schnellstmöglich per Gesetz festzuschreiben – bis 2030 muss dieser abgeschlossen sein.