Greenpeace arbeitet wieder verstärkt zu Abrüstung. Besinnt sich die Organisation auf ihre Wurzeln?
Die allererste Greenpeace-Aktion im November 1971 richtete sich gegen einen US-Atombombentest auf den Aleuten. Das jahrelange Engagement der Organisation in den Jahren danach hat zu weiteren Erfolgen beigetragen: Längst haben alle Atommächte – mit Ausnahme von Nordkorea – auch aufgrund der Greenpeace-Proteste die Atombombentests eingestellt. Nun ist es aber Zeit, den zweiten Teil unseres Namens, also „Peace“, wieder stärker mit Leben zu füllen.
Warum gerade jetzt?
Die Welt ist tatsächlich unsicherer und unberechenbarer geworden, überall steigen die Militäretats, neue Waffen werden beschafft, vollautonome Waffensysteme entwickelt. Cyberkriege werden vorbereitet und teils schon geführt, und die Industrie-staaten verdienen mit dem Export von Kriegsschiffen, Kampfflugzeugen und Panzern immer mehr Geld. Und weltweit erwacht der Nationalismus, ob in Brasilien, China, in den USA und auch in Europa.
Hat das Auswirkungen auf die EU?
Das Brexit-Chaos gibt uns einen Vorgeschmack davon, was mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten geschehen kann, sollte der Nationalismus weiter an Stärke gewinnen. Zudem müssen wir uns aufgrund der Folgen des Klimawandels Sorgen machen – er wird regionale wie globale Verteilungs- und Sicherheitsfragen noch einmal verschärfen.
Und das ist noch nicht alles: US-Präsident Donald Trump hat den INF-Vertrag für nukleare Mittelstreckensysteme, einen der Eckpfeiler der atomaren Rüstungskontrolle, gekündigt, womit uns in Europa wie der ganzen Welt ein neues Wettrüsten droht.
Taucht die konkrete atomare Bedrohung erst jetzt wieder auf?
Nein, sie war immer da. Seit Jahren modernisieren die Atommächte ihre Waffenarsenale und Trägersysteme. Nicht ohne Grund zeigt die „Doomsday Clock“, die Weltuntergangsuhr der Atomwissenschaftler, inzwischen zwei Minuten vor zwölf, die Lage ist so bedrohlich wie seit den frühen 50er-Jahren nicht mehr, dem Beginn des Kalten Krieges. Die Kündigung des INF-Vertrags durch US-Präsident Trump verschärft die Situation weiter. In naher Zukunft könnten im Herzen Europas wieder Hunderte von Atomwaffen stationiert werden, das wäre ein Rückfall in die 80er-Jahre – wenige Minuten nach dem Abschuss wären Teile Europas zerstört. Diese atomare Aufrüstung müssen wir verhindern. Die Menschheit hatte schlicht mehr Glück als Verstand, dass es nie zu einem Atomkrieg gekommen ist. Alle, die auf die stabilisierende Wirkung der garantierten gegenseitigen Vernichtung während des Kalten Krieges verweisen, blenden aus, dass die Welt mehrere Male, zum Beispiel während der Kubakrise, nur ein einziges Missverständnis, nur eine kleine Fehlkalkulation, nur ein zufälliges Missgeschick vor der Vernichtung stand. Sich darauf zu verlassen, dass das Ganze noch einmal gut geht, ist absolut fahrlässig. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum die Bundesregierung seit Februar so gut wie nichts unternimmt, um den INF-Vertrag noch zu retten. Bundeskanzlerin Merkel müsste die Rettung des Vertrages zu ihrem primären außenpolitischen Ziel machen. Sie müsste mit allem Nachdruck bei US-Präsident Trump und dem russischen Präsidenten Putin auf direkte Gespräche auf höchster Ebene drängen. Außenminister Heiko Maas hätte schon längst eine internationale Konferenz in Berlin nur zu diesem Thema einberufen müssen. Ganz offensichtlich aber setzt diese Bundesregierung nicht ihr gesamtes diplomatisches, politisches und ökonomisches Potenzial ein, den Vertrag noch zu retten. Genau das aber muss sie tun.
Warum halten so viele Länder denn an der Atomtechnologie fest?
Hinter einem zivilen Atomprogramm lässt sich ein militärisches Programm verstecken oder vorbereiten. Deswegen sind die neuen Atomprogramme von Staaten wie der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten Anlass zur Sorge. Überdies wirkt die Bombe wie eine Versicherungspolice für Diktatoren. Wer sie nicht hat, kann gestürzt werden. Gaddafi hatte sein Atomwaffenprogramm aufgegeben. Als seine Herrschaft 2011 wankte, konnten die westlichen Nationen nahezu gefahrlos in den libyschen Bürgerkrieg eingreifen. Das wäre sicher nicht passiert, wenn Gaddafi mit dem Einsatz der Atombombe hätte drohen können.
Welche Rolle spielt Deutschland mit Blick auf die Rüstungsspirale?
Erstens lagern im rheinland-pfälzischen Fliegerhorst Büchel noch immer US-Atomwaffen und die Bundeswehr plant aktuell den Kauf eines neuen Kampfflugzeuges als Träger-system für diese Waffen. Zweitens wird der deutsche Verteidigungshaushalt massiv aufgestockt. Und drittens befeuern deutsche Konzerne mit ihren Rüstungsexporten die internationale Aufrüstung. Derzeit verhandeln Frankreich und Deutschland über militärische Kooperationen, dadurch könnten die bislang an manchen Punkten im Vergleich zu Frankreich, den USA oder Großbritannien restrik-tiveren deutschen Exportkriterien weiter aufgeweicht werden – obwohl die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen einen Rüstungsexportstopp will.
Was fordert Greenpeace?
Deutschland muss aufhören, die Welt mit Waffen zu versorgen. Diktaturen, Staaten, die die Menschenrechte verletzten, und Staaten, die Krieg führen oder Teil eines Krisengebiets sind, müssen von Rüstungslieferungen ausgeschlossen werden – egal, welches Land das ist. Und der Export einer Waffengattung muss vollständig verboten werden, nämlich der von Klein- und Leichtwaffen. Diese sind für den Großteil der Toten in den globalen Konflikten verantwortlich. Hinsichtlich der weltweiten Verbreitung von Atomwaffen gibt es nur eine Lösung, die Sicherheit für alle bringt: die vollständige Abschaffung aller Atomwaffen.
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