Jedes Editorial ist ein Brief in eine Zukunft. Doch nie war diese Zukunft so unsicher wie heute. Wir schreiben diese Zeilen Anfang April. In einem Land, das von einem Virus in einen nervösen Stillstand versetzt worden ist, in dem viele Menschen sich sorgen – um ihre Liebsten, um ihre Zukunft. Seit fast drei Wochen arbeiten wir, unsere Kolleginnen und Kollegen bei Greenpeace und Millionen weitere Menschen, nun von zu Hause. Wir tun das aus Vorsicht, vor allem aber aus Solidarität mit all jenen, die nicht zu Hause bleiben können, die in Krankenhäusern, Supermärkten oder Pflegeheimen weiterarbeiten. Wo und wie wir arbeiten werden, wenn Sie diese Zeilen Mitte Mai lesen, wie es uns allen, dem ganzen Land, wie es der Welt dann gehen wird, kann heute niemand absehen. Auch nicht, was wir aus dieser Krise lernen werden. Aber wir können es uns wünschen:
Die ersten Wochen der Pandemie waren und sind geprägt von einer breiten gesellschaftlichen Solidarität. Zuvor ungekannte Einschränkungen unserer Freiheit wurden akzeptiert, weil die Allermeisten verstehen, dass nur gemeinsames und weitreichendes Handeln die sich rasant ausbreitende Pandemie eindämmen kann. Wir hoffen, dass diese Solidarität anhält, die den Schutz von Menschen nach vorne stellt. Und, dass sie Wirkung zeigt – gesundheitlich und in unserem Miteinander. Denn wir alle werden Beistand und Mitgefühl brauchen, um umgehen zu können mit den schwierigen Zeiten vor uns, mit Erkrankten oder gar Verstorbenen unter unseren Freunden, in unseren Familien. In den vergangenen Monaten haben Hunderttausende Schülerinnen und Schüler die Erwachsenen zu mehr Engagement beim Schutz des Klimas aufgefordert. Jetzt brauchen auch und besonders die Schwächeren die Rücksichtnahme der Stärkeren, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Hier muss ein neuer Gesellschaftsvertrag entstehen.
Die Corona-Krise zeigt, dass Politik auf große Herausforderungen rasch und entschlossen reagieren kann. Das macht Mut. Denn eben solches Handeln fehlt bislang bei den anderen globalen Herkulesaufgaben, der Klimakrise und dem Verlust von Natur und Arten. Während die Folgen von Covid 19 jeden Tag unser aller Leben massiv beeinflussen, zeigen sich die Schäden kontinuierlich steigender Temperaturen für uns bisher in verdorrten Feldern, brennenden Wäldern und erodierenden Küsten. Damit diese Symptome der Klima- und Artenkrise nicht stärker werden, damit sie nicht immer häufiger auftreten, muss die internationale Politik ebenso entschlossen und geleitet von der Wissenschaft handeln, wie sie es in diesen Zeiten bei dieser globalen Pandemie tut. Der Klimawandel bedroht uns weniger unmittelbar als das Virus, aber gleichsam existenziell.
Das Virus unterstreicht auf schmerzhafte Weise, dass unsere Welt heute Risiken ausgesetzt ist, denen ein Land allein nicht gewachsen ist. Auch das ist eine wichtige Lehre im Kampf gegen die Erderhitzung.
In all der wachsenden Unsicherheit und rasanten Veränderung unseres gewohnten Lebens findet sich auch Hoffnung: Schnelll haben Unternehmen in den vergangenen Wochen ihre Produktion angepasst. Plötzlich stellten Maschinenbauer Beatmungsgeräte statt Motoren her, Textilfirmen nähten Schutzmasken statt T-Shirts, Getränkekonzerne füllten Desinfektionsmittel ab statt Bier. Bis vor kurzem undenkbare Veränderungen wurden über Nacht umgesetzt – und sie orientierten sich an den Bedürfnissen der Gesellschaft. Wenn es hoffentlich sehr bald daran geht, die Wirtschaft in Deutschland und anderswo wieder in Schwung zu bekommen und unsere Leben zu normalisieren, dann wünschen wir uns dies als Leitschnur: eine Wirtschaft, die den Menschen dient – ein Lebensstil, der Rücksicht auf den Planeten nimmt. Dafür wird Greenpeace sich auch weiterhin einsetzen.
Unseren herzlichen Dank, dass Sie uns dabei auch in diesen schwierigen Zeiten unterstützen.
Ihr Roland Hipp
Ihr Martin Kaiser