Müllkippe für die Welt

Plastik

Greenpeace deckt auf: Kriminelle verschiffen Plastikmüll nach Malaysia, der Menschen und Umwelt krank macht

Manfred Santen, Chemieexperte von Greenpeace, watet im malaysischen Pulau Indah, einer Insel südwestlich von Kuala Lumpur, über Berge von Kunststoffmüll. Aus dem Abfall fischt er eine Zuckertüte aus Großbritannien, eine Zwiebelverpackung aus Italien und eine Mozzarellapackung, produziert für Deutschland. Mit 18,7 Millionen Tonnen Verpackungsmüll jährlich hält Deutschland den Negativrekord in Europa, gefolgt von Italien.

Zwischen 2016 und 2019 hat sich die Einfuhr von Plastik­abfällen in Malaysia verdreifacht. Der Verpackungsmüll stammt aus unterschiedlichen Industrieländern
Zwischen 2016 und 2019 hat sich die Einfuhr von Plastik­abfällen in Malaysia verdreifacht. Der Verpackungsmüll stammt aus unterschiedlichen Industrieländern

Obwohl es EU-weit verboten ist, unsortierten, ungereinigten Plastikmüll zu exportieren, findet dieser seinen Weg außer Landes. Zum einen, weil es nur wenige Kontrollen gibt. Santen schätzt, dass der Zoll – beispielsweise im Hamburger Hafen – maximal ein Prozent aller Container überprüft. Zum anderen, weil es sich lohnt: Für den Plastikmüll, der eigentlich in Europa entsorgt, also zum Beispiel in Müllverbrennungsanlagen verbrannt werden sollte, kassieren Unternehmen Geld, pro Tonne zahlen Müllhändlerinnen und -händler in Malaysia rund 100 Euro. 30 Prozent des gelieferten Mülls können sie verwerten und zum doppelten Preis weiterverkaufen.

„Die meisten Leute bei euch glauben, eure Recyclingquote sei vorbildlich hoch. ABER SO IST ES NICHT.“

YB Ng Sze Han, Regionalregierung Selangor

Der ganze Rest – zumeist nicht verwertbarer Verpackungsmüll – verrottet oder verbrennt auf wilden Deponien. „Die meisten Leute bei euch glauben, eure Re-cyclingquote sei vorbildlich hoch“, sagt YB Ng Sze Han von der Regionalregierung Selangor. „Aber so ist es nicht“, fügt er hinzu. Belege dafür finden sich überall im Land: Plastikmüllberge. Seit China im Januar 2018 einen Importstopp für Plastikmüll verhängt hat, werden Millionen Tonnen nach Malaysia verschifft. Ein dreckiges, aber lukratives Geschäft – rund sechs Milliarden Euro lässt sich in diesen Zeiten allein in Malaysia mit illegalem Müllhandel umsetzen.

Nahe eines Industriegebietes im malaysischen Jenjoram nehmen Greenpeace-Aktivisten Wasserproben. Laborunter­suchungen belegen, dass diese hohe Konzentrationen von gefähr­lichen Schadstoffen enthalten
Nahe eines Industriegebietes im malaysischen Jenjoram nehmen Greenpeace-Aktivisten Wasserproben. Laborunter­suchungen belegen, dass diese hohe Konzentrationen von gefähr­lichen Schadstoffen enthalten

investigative recherche

Niemand weiß genau, wie der Müll-Deal abläuft. Deshalb recherchierten mehrere Greenpeace-Büros über Monate hinweg: Vor Ort gaben sich die Greenpeace-Akteure als Abfallhändlerinnen und Abfallhändler aus und suchten nach Abnehmern für dreckigen Plastikmüll. Sie wurden fündig. Ein Greenpeace-Aktivist filmt die Szene verdeckt mit einer Knopflochkamera: Er könne den Plastikmüll auch ohne Genehmigung kaufen, versichert der Händler, kein Problem, er kenne Leute in der Behörde.

Tatsächlich haben die Behörden den illegalen Müllhandel nicht im Griff. Doch die malaysische Regierung fängt an, sich gegen die Plastikfluten zu wehren: 2019 hat sie 140 illegale Verbrennungsanlagen geschlossen. Und 150 Container voll mit Plastikmüll schickten sie zurück an die Absender Großbritannien, Frankreich, USA und Kanada.

illegalen müllhandel stoppen!

Die Behörden haben erkannt, wie schädlich der Plastikmüll für Mensch und Umwelt ist. Boden- und Wasserproben, die Greenpeace in Malaysia genommen hat, bestätigen die Gefahr: In den Proben fanden sich hohe Konzentrationen von Schwermetallen – wie Cadmium oder Blei – sowie langlebige, nur schwer abbaubare und krebserregende Substanzen – wie bromierte Flammschutzmittel oder Benzo(a)pyren, eine Substanz aus der Gruppe der polyzyklischen aroma-tischen Kohlenwasserstoffe (PAKs). Diese gefährlichen Chemikalien kontaminieren die Böden und das Grundwasser. Häufig wurden große Mengen von Plastikmüll über Nacht irgendwo abgekippt und in Brand gesetzt. Die dabei ent-weichenden giftigen Dämpfe machen die Menschen krank. „In nur einem Jahr sind Asthma- und andere Atemwegs-erkrankungen um 20 bis 30 Prozent angestiegen“, berichtet Tneoh Shen Jen, Arzt eines Krankenhauses in Sungai Petani im Nordwesten des Landes.

An vielen Orten in Malaysia brennt Plastikmüll, dabei entweichen giftige Dämpfe
An vielen Orten in Malaysia brennt Plastikmüll, dabei entweichen giftige Dämpfe

Nach Abschluss der Recherchen hat Greenpeace alle Unterlagen und Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft weitergegeben. Wenn die Ermittlungsbehörden Ernst machen, könnte es empfindliche Strafen für die illegalen Müllhändler geben. „Was hier passiert, ist schockierend“, sagt Giuseppe Ungherese von Greenpeace Italien. „Die EU muss diesen illegalen Müll-handel sofort stoppen!“

Unverpackt oder Mehrweg

38 Kilogramm Plastikmüll pro Person und Jahr – Deutschland ist trauriger Spitzenreiter in Europa. Greenpeace will das ändern – mit der „Reuse-Revolution“-Kampagne. Auf einer interaktiven Deutschlandkarte kann jede und jeder eintragen, wo man unverpackt einkaufen kann. Die Zukunft des Lebensmittelhandels ist entweder unverpackt oder gehört Mehrweglösungen, davon ist Greenpeace-Konsumexpertin Viola Wohlgemuth überzeugt.

reuse-revolution-map.greenpeace.de