Konsum

Rücksendungen vernichten ist billiger

Skandal aufgedeckt: Viele Online­händler wie Amazon schreddern in großem Stil neuwertige Waren

Zahlreiche Fotos liegen ausgebreitet auf einem Stehtisch in der Hamburger Greenpeace-Zentrale. Die Aufnahmen stammen aus einem Amazon-Logistikzentrum im nordrhein-westfälischen Rheinberg, einem von elf in Deutschland. Zu sehen sind gelbe Plastikkisten, gestapelt auf Paletten, randvoll mit Elektrogeräten, Textilien und Spielzeug. An vielen Waren hängen noch die Preisschilder, etliche sind originalverpackt. Dabei handelt es sich um neuwertige Waren, die auf „Destroy-Paletten“ zum Zerstören bereitgestellt sind.

Passt nicht? Gefällt nicht? Kein Problem, fast alle Onllinehändler bieten ihren Kunden an, Bestelltes kostenfrei zurückzuschicken. Doch kaum jemand ahnt, was mit den ungewollten Kleidern, Spielsachen oder Elektronikgeräten passiert
Passt nicht? Gefällt nicht? Kein Problem, fast alle Onllinehändler bieten ihren Kunden an, Bestelltes kostenfrei zurückzuschicken. Doch kaum jemand ahnt, was mit den ungewollten Kleidern, Spielsachen oder Elektronikgeräten passiert
In Amazon-Logistikzentren stehen gestapelte Kisten, gefüllt mit zurückgeschickten, gebrauchsfähigen Retouren. Die auf dem Boden klebenden Zettel verraten, was damit geschehen soll: Sie werden zerstört
In Amazon-Logistikzentren stehen gestapelte Kisten, gefüllt mit zurückgeschickten, gebrauchsfähigen Retouren. Die auf dem Boden klebenden Zettel verraten, was damit geschehen soll: Sie werden zerstört

Gigantische verschwendung von Ressourcen

Es ist einer dieser heißen Tage im Mai. ZDF-Reporter Christian Esser ist zu Greenpeace gereist, um die Ergebnisse seiner Recherchen mit Kirsten Brodde zu besprechen und zu bewerten, der Konsum- und Textilexpertin von Greenpeace. In Zusammenarbeit mit der Umweltorganisation hat das Team von Frontal 21 einen unglaublichen Verschwendungsskandal im Onlinehandel aufgedeckt.

Über die Bilder gebeugt sagt Kirsten Brodde: „Wir können nachweisen, dass viele Händler wie Amazon jeden Tag vorsätzlich tonnenweise intakte Waren vernichten. Und zwar vom T-Shirt über den Mixer bis zum Kühlschrank.“ Dabei verweist sie auf seitenweise Listen von Waren, die zerstört werden sollen, und fordert: „Diese gigantische Ressourcenverschwendung muss dringend gesetzlich verboten werden!“

Laut Greenpeace-Recherchen wird jeder zweite im Netz bestellte Modeartikel zurückgesandt, bei Schuhen sind es sogar bis zu 80 Prozent. Was die Verbraucher nicht wissen oder lieber verdrängen: Rund 30 Prozent der per Klick georderten und zurückgeschickten Waren werden nicht wieder zum Verkauf angeboten. Laut einer Studie des Kölner EHI Retail Institutes gaben 55 Prozent der befragten Onlinehändler an, zurückgeschickte Ware, die sie nicht wieder verkaufen können, zu entsorgen.

Mitarbeiter packen aus

Dass Onlinehändler auf Bergen von Produkten sitzen bleiben, ist eigentlich nicht neu. Was damit häufig geschieht, war aber bislang ein gut gehütetes Geheimnis der Branche, nun bringt es die TV-Dokumentation ans Licht. Erstmals haben Mitarbeiter von Amazon ausgepackt: „Ich vernichte jeden Tag neuwertige Waren im Wert von 23.000 Euro“, sagt eine Frau offen in die Fernsehkamera. Im hauseigenen Schredder landen Ladenhüter, erklärt sie, nicht verkaufte Saisonware, Produkte mit kleinen Schönheitsfehlern und vor allem: unbenutzte Retouren. „Der Onlinehandel heizt den Konsumwahn an“, kritisiert Brodde. „Denn die Unternehmen verleiten die Leute dazu, alles Mögliche zu bestellen, weil sie Unerwünschtes ja bequem und kostenlos zurückschicken können.“

Umweltschäden im Preis nicht inbegriffen

„Wie kann es sein, dass es sich eher lohnt, Produkte zu vernichten, als erneut in den Handel zu bringen?“, fragt der ZDF-Reporter die Greenpeace-Expertin im Interview. Brodde erklärt: „Weil Menschen in den Erzeugerländern so schlecht bezahlt werden und Umweltschäden wie beispielsweise vergiftete Seen und Flüsse nicht in den Verkaufspreis einfließen.“ Sie beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Billigmode: „Produkte werden verramscht, weil es billiger ist, überschüssige Waren zu verbrennen, als sie neu zu verpacken“, sagt sie und fügt hinzu: „Das ist absurd. Den Händlern ist der Respekt für ihre Produkte komplett verloren gegangen.“

„Das ist verbrauchertäuschung“

Den „Kaputtmachern“ hält Brodde vor, entgegen vieler Werbeversprechen die Verschwendung auf die Spitze zu treiben. „Jetzt sehen wir, zu welchen Exzessen unser Massenkonsum führt“, erklärt sie. Vor allem ärgert es sie, dass die Verbraucher angehalten werden, Ressourcen zu schonen und jedes Fitzelchen Müll zu trennen, Onlinehändler aber im großen Stil unverantwortlich agieren. „Das ist Verbrauchertäuschung!“

2014 wurden weltweit erstmals mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke im Jahr hergestellt – viel mehr, als gebraucht wird. Wo bleibt der Überschuss? Ein dänischer Fernsehsender hat beispsielsweise dem schwedischen Modekonzern H&M schon vor einem Jahr vorgeworfen, unverkaufte Neuware zu verbrennen. Der Textildiscounter erklärte daraufhin, das seien nur schimmelige oder mit Giftstoffen belastete Kleider gewesen.

Der von Frontal 21 ausgestrahlte Bericht über den Amazon-Skandal schlug hohe Wellen und machte Schlagzeilen. Während beim TV-Sender und Greenpeace viele Zuschriften – auch von Mitarbeitern der Onlinehändler – eingehen, startet die Umweltschutzorganisation eine Petition gegen diese Ressourcenverschwendung. Ehrenamtliche Greenpeacer organisierten Ende Juni, am „Tag des Guten Lebens für alle“, einen Aktionstag. Engagierte zeigen in 36 deutschen Städten mit Upcycling-Kursen, Repaircafés und Tauschbörsen Alternativen zur Wegwerfgesellschaft.

Verschwendung gesetzlich verbieten

In der Hamburger Greenpeace-Zentrale setzt die Konsumkritikerin Kirsten Brodde derweil einen Brief an die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) auf: „Sie müssen diese Verschwendung dringend gesetzlich verbieten“, fordert sie. Schon jetzt mache es Frankreich vor: Dort düften Supermärkte Lebensmittel, die noch genießbar sind, nicht wegwerfen – nun plane Frankreich, dieses Verschwendungsverbot auch auf Kleidung auszuweiten. „Daran muss sich der vermeintliche Ökomusterschüler Deutschland ein Beispiel nehmen“, fordert Brodde.

Unterzeichnen Sie die Petition an Bundesumweltministerin Svenja Schulze:

greenpeace.de/stoppt-die-verschwendung