Mit der „Beluga II“ in der Ostsee: Steine mit Mission
Das Greenpeace-Schiff „Beluga II“ nimmt Ende Juli Kurs auf Rügen. Als es das Meeres-schutzgebiet „Adlergrund“ östlich der Insel erreicht, werden Positionen geprüft, Karten gecheckt und Helme aufgesetzt. Das Schiff schaukelt merklich in alle Richtungen. Die Winde, mit der normalerweise das große Segel hochgezogen wird, ächzt. Langsam zieht sie einen der dicken Steinbrocken aus dem Laderaum des Greenpeace-Schiffes hoch. Die Aktivistinnen und Aktivisten packen mit an und lenken den Koloss in Richtung einer Metallrutsche, die Steuerbord über die Reling hinausragt. Sekunden später versinkt er mit einem lauten Platschen in der Ostsee. Einer von vielen.
Der Greenpeace-Meeresexperte Thilo Maack ist mit an Bord. Zwei Wochen zuvor ist er in diesem Gebiet getaucht. An einem Stellnetz entdeckte er erstickte Dorsche und um ihr Leben ringende Plattfische. Außerdem fand er sogenannte Geisternetze und eindeutige Spuren der Zerstörung durch Grundschleppnetze. „Die versenkten Steine sind eine Notfallmaßnahme“, sagt er, als er wieder an Deck ist, „denn da, wo die Felsen liegen, können Fischer den Boden mit ihren Netzen nicht mehr umpflügen.“
Zwei Wochen später wiederholt sich die Prozedur, diesmal im Fehmarnbelt. Wieder sind Felsen auf dem Weg zum Meeresgrund, um ihre Mission zu erfüllen, denn dieses Mittel hat sich schon einmal bewährt: Bereits 2008 versenkten Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten vor Sylt 320 Granitfelsen. Schon ein Jahr später waren diese von zahlreichen wirbellosen Tieren besiedelt, Fische suchten dort Schutz, eine reiche Artenvielfalt stellte sich ein.
Doch dieses Mal nähert sich die Küstenwache in Schlauchbooten der Bundespolizei. Sie kommt an Bord und überreicht eine Untersagungsverfügung. Daraufhin müssen die Aktiven ihre Arbeit für den Schutz der Meere abbrechen. Doch der Handlungsbedarf bleibt hoch: „Die Meere, besonders Nord- und Ostsee, sind in einem historisch schlechten Zustand“, erklärt Maack.
Ein aktueller Greenpeace-Report zeigt, dass deutsche Meeresschutzgebiete nur auf dem Papier bestehen. Tatsächlich sind dort noch immer der Abbau von Millionen Tonnen Sand und Kies erlaubt und sogar die zerstörerische Fischerei mit Grundschleppnetzen. Die Folgen der rücksichtslosen Ausbeutung des Meeres sind dramatisch: Ein Schweinswalbestand ist vom Aussterben bedroht, viele Seevögelpopulationen nehmen ab, Dorsch- und Heringsbestände schwinden. Dabei hatten sich die EU-Mitgliedsländer, also auch die Bundesregierung, zum Ziel gesetzt, die europäischen Meere bis 2020 in einen guten Umweltzustand zu bringen. Obwohl seitens der EU schon bald ein tägliches Zwangsgeld in Millionenhöhe drohen könnte, ist bisher nichts passiert. Genau deshalb sind Greenpeace-Akivistinnen und -Aktivisten vor Ort.
„Die versenkten steine sind eine Notfallmassnahme.“
Greenpeace-Meeresexperte Thilo Maack
Mit der „Esperanza“ und der „Rainbow Warrior“ in der Nordsee: „Das Meer ist keine Müllkippe“
Die „Esperanza“ und die “Rainbow Warrior“ machen Ende Juli die Leinen los, um die Ölindustrie in der Nordsee mit den Schäden zu konfrontieren, die sie im Meer anrichten. Der erste Fund kommt von der „Esperanza“: Der ferngesteuerte Unterwasserroboter filmt im britischen Sektor der Nordsee einen riesigen Krater im Meeresboden, aus dem seit 30 Jahren Methan sprudelt. Das massive Gasleck hat die Firma Mobil North Sea (heute Exxon Mobil) 1990 verursacht, aus ihm strömen nach wissenschaftlichen Schätzungen bis zu 90 Liter Methan pro Sekunde aus. Das Treibhausgas ist 28-mal klimaschädlicher als Kohlendioxid. „Der Nordseeboden ist übersät mit Methanlecks, die vor vielen Jahren bei Ölbohrungen entstanden sind. Bis heute will niemand die Verantwortung übernehmen, das ist ein Skandal“, sagt die Greenpeace-Meeresexpertin Sandra Schöttner, die den Einsatz an Bord leitet.
Drei Tage später entdeckt die Crew der „Esperanza“ in der Nähe der von BP betriebenen Ölplattform „Andrew“ einen Ölteppich. „Auf dem Wasser treiben dicke braune und schwarze Ölklumpen, es bilden sich Blasen und Schlieren“, berichtet Schöttner und schickt eine Drohne in den Himmel. Die Bilder zeigen, dass sich die Ölverschmutzung kilometerweit ausbreitet. Die Besatzung der Plattform weigert sich, mit den Aktivistinnen und Aktivisten zu sprechen. Diese nehmen Öl- und Wasserproben und melden den Vorfall den britischen Behörden. Schöttner weiß, dass der Fund nur die Spitze des Eisberges ist: Ein aktueller Greenpeace-Bericht belegt, dass die rund 400 Öl- und Gasplattformen schon im Normalbetrieb Klima und Nordsee enorm belasten. 2017 verschmutzten die Plattformen das Meer allein im regulären Betrieb mit 9200 Tonnen Öl und 182.000 Tonnen Chemikalien – das entspricht einem jährlichen Tankerunglück und einem täglichen Chemieunfall.
Während die „Esperanza“ Kurs auf die nördliche Nordsee nimmt, erreicht die „Rainbow Warrior“ dänisches Hoheitsgebiet. 500 Meter von der Ölplattform „Dan Bravo“ entfernt, die vom Ölkonzern Total betrieben wird, stoppen die Maschinen. Näher darf das Schiff aus Sicherheitsgründen nicht heranfahren. Eine Aktivistin und drei Aktivisten aus Deutschland und Dänemark machen sich bereit für den Sprung ins kalte Wasser. Sie packen alles, was sie brauchen, in große, wasserdichte Säcke und schwimmen früh am Morgen hinüber zur unbemannten Plattform. Oben auf dem Hubschrauberlandeplatz richten sie ihr Lager ein, gerüstet für einen mehrtägigen Protest. Daraufhin stellt Total die Ölförderung auf der „Dan Bravo“ vorübergehend ein.
„Dänemark gibt sich gerne als grüner Spitzenreiter aus, dabei ist es der größte Ölproduzent der EU“, sagt die 21-jährige dänische Aktivistin. Bevor die vier anderntags nach 36 Stunden erneut ihre Sachen packen müssen, weil ein Sturm aufzieht, entfalten sie auf dem Helideck ein großflächiges Banner, das ihre Botschaft in nur einem einzigen Wort ausdrückt: “BOILING“, frei übersetzt: Öl bringt die Welt zum Kochen. Diese Bilder verbreiten sich schnell in den sozialen Medien. Im Gegenzug bekommen sie Soli-Grüße von allen Kontinenten.
Shell hat nichts verstanden
Auf der „Esperanza“-Brücke kommt in der letzten Augustwoche das „Brent“-Ölfeld in Sicht, wo Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten vor 25 Jahren gegen die Versenkung der Öltank- und Verladeplattform „Brent Spar“ kämpften und mit einer breiten Unterstützung der Bevölkerung Shell schließlich zum Einlenken bewegten.
„Wir sind wieder da, weil Shell vier alte Ölplattformen mit 11.000 Tonnen Öl in der Nordsee verrotten lassen will“, sagt der Greenpeace-Meeresexperte Christian Bussau, der 1995 bei der Besetzung der „Brent Spar“ dabei war. „Damals wie heute gilt: Das Meer ist keine Müllkippe. Dieser giftige Abfall muss umweltgerecht an Land entsorgt werden. Nur mit einer Umstellung auf erneuerbare Energien gibt es eine Zukunft – für Shell und für unsere Umwelt!“
Nach der Rückkehr der Schiffe verlagern sich die Aktivitäten wieder an Land: Greenpeace-Freiwillige protestieren Ende August erneut an Shell-Tankstellen, um Autofahrerinnen und Autofahrer über die schmutzigen Shell-Pläne zu informieren. Online werden Unterschriften gesammelt, um Landwirtschafts- und Fischereiministerin Julia Klöckner (CDU) zu überfälligen Schutzmaßnahmen zu drängen.
Außerdem haben die Meeresexpertinnen und -experten internationale Gremien wie die OSPAR-Kommission oder die UN im Blick. OSPAR steht für Oslo und Paris und ist ein völkerrechtlicher Vertrag zum Schutz der Nordsee und des Nordostatlantiks. Diese Kommission kann einen Verstoß gegen das Entsorgungsgebot alter Ölplattformen an Land verhindern. Und die UN könnte schon bald über ein globales Hochseeschutzabkommen entscheiden, das ermöglicht, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen. Und zwar nicht nur auf dem Papier.
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