Liebe Viviane, wie war dein Start ins Leben?
Mein Leben hat nicht sehr schön angefangen. Ich bin 1938 in Danzig geboren, meine Mutter ist nur wenige Tage nach der Entbindung gestorben. Zum Glück hat mein Vater sehr schnell wieder geheiratet. Ich habe Hunger, Flucht und Krieg erlebt. In der Schule gab es noch die Prügelstrafe, ich war Linkshänderin und wurde umerzogen: „Ein deutscher Junge schreibt nicht mit links“, hieß das damals.
Ein Junge?
Ja, ich habe fast mein ganzes Leben als Mann verbracht. Heute bin ich 84 Jahre alt und habe im Jahr 2021 meinen zweiten Geburtstag gefeiert – 2019 hatte ich mein Coming-Out. Ich weiß noch, dass ich den unbändigen Wunsch verspürte, mir ein Dessous zu kaufen. Hier in Flensburg traute ich mich das nicht, da bin ich nach Husum gefahren. Als ich es dann zu Hause anzog und mich in den Sessel setzte, musste ich vor Glück weinen. Wolfram, hab’ ich da zu mir gesagt, endlich bist du bei dir selbst angekommen.
Seither lebst Du als Transfrau?
Genau, und zwar ohne jede Hemmung. Anfangs habe ich die Reaktionen der Leute noch beobachtet, aber da steh’ ich inzwischen drüber.
Wie hast Du denn Dein Leben verbracht?
Den Großteil meines Berufslebens war ich als IT-Spezialist in verschiedensten Firmen tätig. Viele Jahre lang habe ich sehr gut verdient, bin exakt 23 Mal umgezogen und hab’ immer viel zu viel gearbeitet, unzählige Nachtschichten geschoben, um zusammengebrochene Systeme wieder in Gang zu bringen. Einmal habe ich eine Datei Byte für Byte geflickt, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
Gab es in Deinem Leben Platz für die Liebe und für eine Familie?
Sicher doch, ich hab mich immer schnell verliebt. Tatsächlich hatte ich auch eine Familie, für die blieb aber sehr wenig Zeit. Deshalb ging auch meine Ehe in die Brüche. Ich muss zugeben, dass ich viel verdrängt habe und wahrscheinlich auch kein guter Vater war. Zu meinen Töchtern habe ich leider keinen Kontakt mehr, das macht mich unendlich traurig.
Was gibt Dir Halt im Leben?
Mein Glaube. Ich bin Christin. Deshalb ist es mir so wichtig, die Schöpfung zu bewahren. Mir tut es in der Seele weh, zu sehen, wie wir die Meere verschmutzen, wie die Korallen infolge der Klimaerwärmung sterben, wie wir für Formel-1-Rennen Wälder abholzen, wie Tausende zu irgendwelchen Fußballspielen um den halben Globus fliegen, wie Menschen unter unhaltbaren Zuständen Rohstoffe wie Kobalt oder Lithium abbauen, wie wir ferne Planeten erkunden, anstatt unsere Lebensgrundlagen zu schützen. Wir Menschen sind leider so maßlos geworden, wir leben nach dem Motto: „Nach uns die Sintflut“ und bringen die Welt an den Rand des Ruins.
Du hast Dich entschlossen, Greenpeace in deinem Testament mit zu bedenken. Was hat Dich zu dieser Entscheidung bewogen?
Auch wenn ich hoffe, noch ein paar schöne Jahre zu haben, ist mir klar, unser Leben ist endlich. Ich bewerbe mich gerade um einen Platz im nahen Seniorenheim. Da muss ich dann all mein Hab und Gut von 84 Quadratmetern Wohnfläche auf zwei kleine Zimmer reduzieren. Ich lese, fotografiere und sammle alles Mögliche – zum Beispiel Schmuck – leidenschaftlich gern, deshalb ist das für mich eine große Herausforderung. Auch wenn ich sehr an den Sachen hänge, es wird Zeit, Ordnung in mein Leben zu bringen. Die Testamentsspende war ein wichtiger Schritt: Wenn ich nicht mehr bin, soll sich jedes meiner Kinder einen Gegenstand aussuchen und mitnehmen dürfen, alles Andere soll Greenpeace zugute kommen.
Was verbindet Dich mit Greenpeace?
Ich fördere Greenpeace seit 2006 und habe auch eine Patenschaft für die Meere. Ich finde es einfach klasse, wie sich Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten seit so vielen Jahrzehnten für die Umwelt einsetzen – zum Beispiel damals gegen die Verklappung von Dünnsäure oder Atommüll in der Nordsee. Da gehört viel Mut dazu. Das Steineversenken in Schutzgebieten neulich fand ich auch toll, dort soll nicht gefischt werden. Das Meer ist bedrohter denn je, wenn ich bloß an den Tiefseebergbau denke, diesen zerstörerischen Wahnsinn müssen wir mit allen Mitteln verhindern.
Was ist Dir in Deinem Leben wichtig?
Ich bin und bleibe eine Nachteule, lese oft bis in die Morgenstunden und gucke viele Dokus auf Arte. Wenn ich Leute sehe, die eine Kippe oder Müll einfach auf die Straße werfen, spreche ich sie an und sage: Hallo, Sie haben da was verloren! Die meisten interessiert das nicht, ich mach’ es trotzdem. Ich versuche, umweltbewusst zu leben, fahre ein sehr sparsames Auto und esse wenig Fleisch – wenn, dann Bio. Außerdem habe ich angefangen, Märchen zu erzählen, das macht mir sehr viel Freude. Die lese ich nicht vor, die trage ich vor – auswendig!
Hast du denn noch einen Herzenswunsch?
Ich würde sehr gerne mal eine Woche auf einem Greenpeace-Schiff mitfahren und bei einer Aktion oder einer Expedition dabei sein. Das wäre ein Traum.
Wenn du heute auf Dein Leben zurückblickst, bist Du mit Deinem Schicksal versöhnt?
Jetzt ja.
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