Interview

„Keine Kohle für Klimasünder“

Ein Interview mit dem promovierten Volkswirtschaftler Mauricio Vargas (40), der seit Kurzem als Finanzexperte bei Greenpeace arbeitet

Viele andere Organisationen schauen der Finanzbranche kritisch auf die Finger. Warum reiht sich jetzt auch Greenpeace ein?

Stimmt, einige Nichtregierungsorganisationen sind da schon länger dabei. Aber es ist schlau, den Druck gerade jetzt zu verstärken, indem wir umweltschädliche Finanzflüsse und Investitionsgebaren aufdecken. Erstens, weil die EZB, die Europäische Zentralbank, bis zum Sommer 2021 ihre Strategie grundlegend überarbeitet. Und zweitens, weil diese Branche große Schlagkraft entfalten kann..

Inwiefern?

Ich bin überzeugt, dass eine ökologische Transformation nur gelingen kann, wenn die Finanzbranche umsteuert. Sollte sie ihre Kriterien klimafreundlich ausrichten, werden ganz sicher viele andere Branchen nachziehen, denn die Finanzwelt ist das zentrale Nervensystem der Wirtschaft. Deshalb ist es so wichtig, jetzt die Kräfte zu stärken, die erkennen, welche enormen Risiken die Klimakrise mit sich bringt. Und jene an die Öffentlichkeit zu zerren, die glauben, weitermachen zu können wie bisher.

Was folgt denn daraus?

Angesichts der Klimakrise und der damit einhergehenden disruptiven Veränderungen, die auf uns zukommen, dürfen Klimasünder – wie etwa Betreiber von Braunkohlekraftwerken – keine Kohle, also keine Kredite mehr bekommen.

Ich bin überzeugt, dass eine ökologische Transformation nur gelingen kann, wenn die Finanzbranche umsteuert.

Mauricio Vargas

Wie realistisch ist eine grüne EZB?

In einer Studie haben wir im Herbst 2020 nachgewiesen, dass 63 Prozent der von der EZB erworbenen Unternehmensanleihen massiv zur Klimakrise beitragen. Aber die Zentralbank bewegt sich in die richtige Richtung, wenn auch noch viel zu langsam. Wir wissen, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde eine ökologische Neuausrichtung anstrebt. Wenn ihr dieser Kurswechsel tatsächlich gelingt, wird das weit über Europa hinaus ausstrahlen. Denn die EZB kann man sich wie einen riesigen Tanker vorstellen, in dessen Windschatten viele kleine Boote mitsegeln. Sie alle würden folgen.

Gibt es Bremser?

Leider ja. Zu diesen gehört neben anderen die Deutsche Bundesbank. Ihrem Verweis auf das Neutralitätsgebot halten wir entgegen, dass an der Bewältigung der dramatischen Klimakrise alle relevanten Institutionen mitwirken müssen, also auch EZB und Bundesbank. Deshalb suchen wir mit ihr gerade den Dialog.

Kann man die Öffentlichkeit ernsthaft für so komplexe, abstrakte Themen interessieren?

Da müssen wir sicher Aufklärungsarbeit leisten. Aber die politischen Beschlüsse wie die Pariser Klimaziele sind getroffen, die wissenschaftliche Bewertung der Klima­krise ist eindeutig. Allen Beteiligten ist klar, dass ein Klimakollaps einen ökonomischen Zusammenbruch nach sich ziehen würde. Da kann sich niemand mehr herausreden. Wir werden sachlich und transparent offenlegen, wie der Finanzsektor bisher funktioniert und was anders werden muss.

Bezieht die Finanzkampagne auch Verbraucherinnen und Verbraucher mit ein?

Ich finde, alle sollten sich Gedanken machen, wie Finanzanlagen – wie beispielsweise die Altersvorsorge – strukturiert sind. So, wie wir uns im Supermarkt die Zeit nehmen, die Inhaltsstoffe zu checken, sollten wir uns auch die Zeit nehmen, einen kritischen Blick darauf zu werfen, welche Finanzprodukte wir erwerben.

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