Der erste Arbeitstag bei Amazon in Winsen. Auf den Einarbeitungsunter-lagen, die dem Undercover-Rechercheur von Greenpeace ausgehändigt werden, steht: „Work hard. Have fun. Make history”. Genau das tut er: Mit versteckter Kamera dokumentiert er, wie der Onlinehändler trotz Verbotes noch immer neue Waren zerstört – eine enorme Ressourcenverschwendung, die schädlich für das Klima ist. Seine Enthüllungen landen bei „Panorama“ in der ARD und in anderen Nachrichtensendungen. Die Republik ist empört. Amazon steht am Pranger.
Dieser Coup zaubert Manfred Redelfs bis heute ein Lächeln ins Gesicht. Er leitet die Recherche, die zum Investigativteam gehört. Im Vorfeld haben die erfahrenen Greenpeace-Rechercheure viel investiert, immer wieder Kontaktpersonen getroffen, Puzzleteil für Puzzleteil zusammengesetzt, bis schließlich klar war, dass Amazon hier täglich Berge von Ressourcen verschwendet. Es bestand ein begründeter Verdacht, das Thema war heiß und alle Wege, Insiderinformationen zu beschaffen, ausgeschöpft. Also war der Under-covereinsatz als Ultima Ratio gerechtfertigt. „Wenn Amazon keine Waren vernichten, sondern diese spenden würde, hätte der Konzern das sofort an die große Glocke gehängt. Die Zerstörung geschah dagegen im Verborgenen.“
Tatsächlich entdeckte der Under-cover-Rechercheur, dass es im Lager von Amazon im norddeutschen Winsen acht „Destroy“-Stationen gibt. Jeden Monat lässt der Versandhändler allein an diesem Standort mehrere Lastwagenladungen voller nicht schnell genug verkaufter Neuwaren zur Entsorgung abholen. Per Drohne überwachte das Investigativteam die Abholung der für die Zerstörung vorgesehenen Produkte vom Hof des Logistiklagers und verfolgte die Fuhre bis zu einem Müllverwerter nahe Koblenz. „Das Schwierigste war, dass wir die Belegkette dicht kriegen mussten“, sagt Redelfs, „das ist uns gelungen.“ Mit medialem Rückenwind geht Greenpeace nun die nächste harte Nuss an: Die neue Bundesregierung zu drängen, das im reformierten Kreislaufwirtschaftsgesetz festgeschriebene Vernichtungsverbot auch durchzusetzen. „So lange es keine Strafen gibt, schreddern die Händler einfach weiter.“
Nils Jansen, Leiter des Investigativteams, kennt das mühsame Geschäft seit Jahren: „Wir bohren, graben und lassen nicht locker, wenn wir eine Spur haben“, sagt der 38-Jährige. So war es auch beim Test von Schlachthofabwässsern. Die Geschichte begann mit der Frage: Wohin gelangen multiresistente Keime, die in der Tierhaltung unter Einsatz von Antibiotika entstehen? In der Gülle hatte Greenpeace sie schon nachgewiesen. Überlebten die gefährlichen Erreger etwa auch den Schlachthof? „Die Einleitungsrohre zu finden war nicht einfach“, erzählt ein junger Feldrechercheur, der anonym bleiben will. „Zum Teil waren die bis zu zwei Kilometer vom Schlachthof entfernt, irgendwo im Wald.“ Die Messungen hat das Rechercheteam sauber dokumentiert, mit GPS-Daten versehen, nach zwei Wochen wiederholt, mit Referenzproben oberhalb der Einleitungsrohre verglichen und blind ans Labor geschickt. An sieben Stellen, darunter bei Westfleisch und Tönnies, nahmen die Rechercheurinnen und Rechercheure Proben. Das Ergebnis: Obwohl die Abwässer betriebliche Kläranlagen durchlaufen hatten, enthielten 30 der 33 untersuchten Proben antibiotika-resistente Keime. In elf wurden sogar Resistenzen gegen das für Menschen wichtige Reserveantibiotikum Colistin
nachgewiesen.
Was ändert eine solche Enthüllung? Auf diese Frage holt Jansen weit aus und beginnt bei der Gründungsgeschichte des Investigativteams: wie Greenpeace 2016 mit den TTIP-Leaks durchstartete, so dass damals die ganze Republik über den geheim gehaltenen Freihandelsvertrag zwischen den USA und der EU diskutierte. Und wie Greenpeace an die Vertragsunterlagen gelangte. „Danach stellten wir vor dem Brandenburger Tor einen gläsernen Lesesaal für alle Interessierten auf“, erzählt Redelfs. „Selbst Politikerinnen und Politiker setzten sich hinein und studierten den Text. Durch die Greenpeace-Arbeit ist eine breite politische Bewertung erst möglich geworden.“ Er erinnert an den damaligen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der durch die Lektüre erkannte, dass das Vorsorgeprinzip auf der Kippe stand, wodurch er vom Befürworter zum Gegner wurde. „Die Leaks haben dazu beigetragen, dass TTIP tot ist“, sagt Redelfs.
Dieser Erfolg beflügelte die investigative Arbeit von Greenpeace. Ein eigenes Team und ein Twitterkanal entstanden. Das Team beachtet höchste Sicherheitsstandards, baut Kontakte auf und pflegt Quellen. Entsprechend kann Teamchef Jansen eine Reihe aufgedeckter Skandale aufzählen: völlig überzogene Milliardenentschädigungen für Braun-kohleunternehmen, Industrievertreter, die – getarnt als Bürgerinitiative – gegen Windkraft mobil machen, geschönte Zulassungszahlen bei VW, illegale Plastikmülldeponien in der Türkei und der Zusammenhang von deutschem Fleischhandel mit Waldbränden in Brasilien.
Auf Altbewährtes greift das Investigativteam auch immer noch gern zurück, so auf Firmenanalysen, die vor allem Teammitglied Oliver Worm anhand von Datenbankinformationen und Onlinerecherchen anfertigt. Oder auf Anfragen nach dem Umweltinformationsgesetz und dem Informationsfreiheitsgesetz – beide verpflichten die Behörden, Bürgerinnen und Bürgern Auskunft zu geben. Um dieses Recht durchzusetzen, war Redelfs einst durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht in -Leipzig gegangen. Anlass waren damals die bis dahin geheim gehaltenen Agrarsubventionen. Seinem juristischen Erfolg ist es mit zu verdanken, dass Spitzenempfängerinnen und -empfänger von Agrarmillionen aus Brüssel heute jedes Jahr veröffentlicht werden müssen. Ein Klick reicht, um zu erfahren, welche Unternehmen wie viel aus dem EU-Landwirtschaftstopf kassieren. „Das Umweltinformationsgesetz ist ein scharfes Schwert, das wir immer wieder einsetzen, um brisante Informationen ans Licht der Öffentlichkeit zu holen“, sagt Redelfs.
Zurück zu Amazon: Der geheime Greenpeace-Einsatz hat nicht nur die Zerstörung von Neuwaren im großen Stil aufgedeckt, sondern auch eine Art „investigativen Beifang“ erbracht. Denn nach Angaben des Rechercheurs durften Mitarbeitende keine FFP2-Masken tragen und wurden bei der Arbeit überwacht. Kaum hatten Medien über diese Missstände berichtet, waren in Winsen mehrere Behördenvertreter zur Stelle, um Arbeits- und Datenschutz zu prüfen. Beim Thema Ressourcen-schutz haben die Behörden noch nicht durchgegriffen und die Zerstörung gestoppt. Bis das passiert, wird Greenpeace-Investigativ weiterhin das Amazon-Motto beherzigen: Work hard. Have fun. Make history.
MEHR ZUM THEMA
twitter.com/gpinvestigativ
Plattform für Whistleblower
hinweise.greenpeace.de
AUFGEDECKT
Skandale enthüllen, Missstände offen legen, Umweltverbrecher überführen – mit investigativen Recherchen ist Greenpeace in vielen Ländern der Welt erfolgreich. Besonders aktiv sind – neben Greenpeace Deutschland – vor allem die Büros in Großbritannien (unearthed.greenpeace.org) und Australien (greenpeace.org.au). Um nur einige Erfolge zu nennen: Greenpeace wies illegale Abholzungen im Kongo, kriminellen Pestizideinsatz und -handel sowie personelle Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik nach. Aktive der Umweltorganisation verfolgten Gülle-, Soja- und Atomtransporte, wiesen Gifte in Flüssen nach, warnten vor hohen Strahlenbelastungen nahe Fukushima, brachten unerlaubte Waffengeschäfte ans Licht, überführten Ölkonzerne als bewusst agierende Klimasünder und belegten völlig falsch berechnete Entschädigungszahlungen für Kohlekonzerne. Sie recherchierten undercover und führten der Weltöffentlichkeit illegale Plastikmülldeponien in Malaysia und der Türkei vor Augen, fanden heraus, wo der Elektroschrott der Industriestaaten landet und dass Banken bis heute Milliarden Euro in klimaschädliche Unternehmen und Projekte investieren.