Detektivarbeit auf dem Rhein

Mikroplastik

Greenpeace weist nach, dass der Rhein stark mit Mikroplastik belastet ist. Es könnte noch schlimmer kommen: Die Ölindustrie wittert in der Plastikherstellung das Geschäft der Zukunft

In Dormagen trennt der Rhein zwei Welten: Auf der einen Seite Wiesen mit Gänsen, Kormoranen, Enten und Möwen, am anderen Ufer macht sich die Chemie- und Plastikindustrie breit. Mitten auf dem Strom hält unser Aktionsschiff „Beluga II“ an diesem nasskalten Oktobertag Position.

Bei Dormagen trennt der Rhein naturbelassene Land­schaftsabschnitte von Chemie- und Plastikindustrie
Bei Dormagen trennt der Rhein naturbelassene Land­schaftsabschnitte von Chemie- und Plastikindustrie
Mit gelegtem Mast: Die „Beluga II“ nahe Dormagen ist auf der Suche nach den Verursachern der Mikroplastikbelastung
Mit gelegtem Mast: Die „Beluga II“ nahe Dormagen ist auf der Suche nach den Verursachern der Mikroplastikbelastung

„Drei sechzig, vier dreißig, fünf zwanzig.“ Aus dem Schiffsbauch ist Daniela Herrmanns Stimme zu hören. Die Umweltwissenschaftlerin sitzt im mobilen Labor und beobachtet auf ihrem Computer, wie Forschende der Universität Hamburg eine Wasserpumpe absenken. Mit an Deck ist auch Manfred Santen, Chemieexperte bei Greenpeace. „Während unserer Tour nehmen wir Wasser- und Sedimentproben, um nachzuweisen, wie stark der Rhein mit Mikroplastik verschmutzt ist“, erklärt er. In jeder Stichprobe, die Aktivisten und Wissenschaftlerinnen mithilfe von Spezialnetzen aus dem Fluss fischen, finden sich tatsächlich Kunststoffpartikel, vor allem die noch kleineren, nur unter dem Mikroskop zu erkennenden Plastik-Beads.

Die Umweltwissenschaftlerin Daniela Herrmann überprüft eine Wasserprobe
Die Umweltwissenschaftlerin Daniela Herrmann überprüft eine Wasserprobe

Ein paarmal macht die Crew die Nacht durch, um herauszufinden, ob der Eintrag innerhalb von 24 Stunden deutlich schwankt. Die Voruntersuchungen an Bord machen sogleich klar: Nach Regenfällen steigt die Mikroplastikbelastung, es ist also davon auszugehen, dass viele Mikroplastikteile in Form von Granulaten durch Regen und Wind vom Ufer aus in die Flüsse gelangen. „Das heißt, dass die Plastikhersteller während der Produktion, beim Beladen oder während des Transports Kunststoffpellets freisetzen, das kann und darf nicht sein“, sagt Santen. Denn die Gefahr liegt auf der Hand: Das belastete Rheinwasser gelangt ins Meer, und die winzigen Partikel, an denen sich häufig gefährliche Chemikalien anlagern, landen schließlich über Muscheln und Fische wieder auf unserem Teller. Inzwischen wurde Mikroplastik sogar in inneren Organen von Menschen nachgewiesen.

Das Mikroskop bringt Klarheit: In jeder Probe findet das Team an Bord der „Beluga II“ Mikroplastikpartikel
Das Mikroskop bringt Klarheit: In jeder Probe findet das Team an Bord der „Beluga II“ Mikroplastikpartikel

Auf dem Kombüsentisch steht eine Glasschale mit Mikroplastik, das sind Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Millimeter im Durchmesser sind. Diese sogenannten Pellets haben Greenpeace-Aktive bei einer Sammelaktion entlang der Ufer gefunden. Sie sind der Rohstoff, aus dem vor allem Verpackungen produziert werden. „Obwohl wir inzwischen im Plastikmüll versinken, wird noch immer neues, nicht recycelbares Plastik hergestellt“, kritisiert Santen. Dabei hat er die Bilder aus Ländern wie Malaysia vor Augen, wo er selbst erlebt hat, welche Verheerungen illegal exportierter Plastikmüll aus Industrieländern anrichtet.

Obwohl wir inzwischen im Plastikmüll versinken, wird noch immer neues, nicht recycelbares Plastik hergestellt.

Manfred Santen, Chemieexperte bei Greenpeace

In den Jahren 2016 und 2019 war Greenpeace schon einmal auf deutschen Flüssen unterwegs und hat nachgewiesen, dass im Wasser unzählige Mikroplastikpartikel schwimmen. Doch passiert ist nichts. „Die freiwillige Selbstverpflichtung der Chemieindustrie, in Hygiene- und Kosmetikprodukten keine Mikro-beads mehr zu verwenden, hat nicht viel gebracht“, erklärt Santen. Noch immer finden sich die schwer abbaubaren Kunststoffteilchen in Shampoos, Duschgels und Waschmitteln. „Niemand sollte im Drogeriemarkt Kleingedrucktes lesen müssen, um mühsam herauszufinden, ob Plastik enthalten ist“, findet seine Kollegin Daniela Herrmann.

Auch 2016 war Greenpeace dem Mikroplastik in deutschen Flüssen auf der Spur
Auch 2016 war Greenpeace dem Mikroplastik in deutschen Flüssen auf der Spur
Mit einem Spektrometer analysiert die Crew an Bord die Art des Kunststoffes, aus denen die gefundenen Partikel bestehen
Mit einem Spektrometer analysiert die Crew an Bord die Art des Kunststoffes, aus denen die gefundenen Partikel bestehen

Mehr noch ärgert sie die Tatsache, dass vielfach billiges, durch Fracking gewonnenes Erdgas zur Pelletherstellung dient. „Für das Klima ist das ein Doppelschlag“, sagt Herrmann, denn zum einen verursacht die Herstellung der Pellets große Mengen CO2. Zum anderen sind Förderung und Transport von Frackinggas, das zum Teil mit Tankschiffen aus den USA nach Europa gelangt, extrem energieintensiv und umweltzerstörend. Doch die Öl- und Gasindustrie setzt genau darauf: Das Ende des fossilen Zeitalters vor Augen, sieht sie in der Plastikproduktion ein lukratives Geschäftsfeld mit enormem Wachstumspotenzial. Letzteres will Greenpeace verhindern und fordert deshalb Verbraucherinnen und Verbraucher auf, Plastikverpackungen zu meiden. Außerdem muss die Politik den Einsatz von Mikroplastik in Kosmetik- und Hygieneartikeln verbieten, eine verbindliche Recyclingquote einführen und die Plastikflutverursacher für die Schäden haftbar machen.

Nachtschicht: Rund um die Uhr nimmt Greenpeace auf dem Rhein Proben
Nachtschicht: Rund um die Uhr nimmt Greenpeace auf dem Rhein Proben

Kurz bevor die „Beluga II“ am Abend an den Monheimer Anleger zurückkehrt, entdeckt ein Greenpeace-Schlauchbootfahrer ein Schiff des Plastikherstellers Ineos. Darauf steht in großen Lettern: „Keep our rivers clean“ (Haltet unsere Flüsse sauber). Daniela Herrmann kann diese Dreistigkeit kaum fassen: „Das genaue Gegenteil ist der Fall, Fabriken wie Ineos verschmutzen unsere Flüsse“, sagt sie.

Kurz vor Redaktionsschluss präsentierte Greenpeace die Laborergebnisse der Stichproben: In Krefeld und Dormagen ist die Konzentration an Mikroplastik am höchsten. In einer Probe wurden sogar 237 Partikel gefunden, das entspricht 3319 Partikeln in 1000 Kubikmetern Rheinwasser. In dieser Analyse wurde nur primäres, also fabrikneues Mikroplastik berücksichtigt. Damit ist klar: Der Rhein ist ein mit Mikroplastik stark belasteter Fluss.

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act.gp/unverpackt

Prominente Detektive

Während der Mikroplastiktour auf dem Rhein kamen einige bekannte Menschen an Bord des Greenpeace-Schiffes „Beluga II“, um sich selbst ein Bild von der Plastikverschmutzung zu machen und sich für saubere Flüsse und Meere einzusetzen. Mit dabei waren die frühere, international erfolgreiche Schwimmerin Britta Steffen, der Schauspieler Felix Kramer und der Rapper Das Bo. Hier ihre Statements:

Britta Steffen:

„Dass so viel Mikroplastik im Rhein zu finden ist, macht das Ausmaß der Plastikverschmutzung deutlich. Über die Flüsse gelangt Plastik in die Meere und bedroht dort das ganze Ökosystem. Unser Umgang mit Plastik macht mich sehr betroffen, wir müssen jetzt handeln und unser Konsumverhalten ändern, nur so können wir unsere Umwelt nachhaltig vor der weiteren Plastikverschmutzung schützen. Alles hängt zusammen, deshalb hoffe ich auf ganzheitliches Denken – vor allem im Sinne unserer Kinder.“

Felix Kramer:

„Diese 24 Stunden an Bord der Beluga II haben mich wachgerüttelt. Ich habe mich gefragt, welchen Beitrag kann ich leisten? Nicht irgendein Amt oder eine Institution, mein Umfeld oder sonst wer, nur ich! Fazit: Ich muss um mich herum einen kleinen Kreis ziehen. Und dann den Kreis vergrößern. Mein Umfeld darauf aufmerksam machen. Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger, das hat noch nie funktioniert, sondern schlicht und ergreifend vorleben. Es geht nicht von heute auf morgen, ganz klar, aber es ist machbar und vor allem notwendig. Ich habe gesehen wie Plastikpellets, so groß wie Pfefferkörner, aus dem Rhein gefischt wurden. Das ist bizarr und auch überhaupt nicht mehr wegzudiskutieren. Das Exit-Plastic-Programm ist kein Querulantentum irgendwelcher Hippies oder Weltverbesserer, sondern beruht auf wissenschaftlichen Studien. Exit-Plastic ist eine absolute Notwendigkeit, es sei denn wir wollen in Zukunft die Natur nur noch als Bildschirmschoner erleben. Der Tag an Bord hat mir die Augen geöffnet und dafür bin ich Greenpeace und der Crew sehr dankbar. Ich praktiziere den Plastikausstieg, und es ist gar nicht so kompliziert. Ich bleib dran, denn ich will meinen Kindern mal mehr überlassen, als eine hochmoderne App-gesteuerte ‚Gelbe Tonne‘.”

Das Bo:

„Ich war tatsächlich entsetzt, dass es sich NICHT nur um mikroskopisch kleine Plastikteile handelt, sondern um Plastikkügelchen die teilweise bis zu einem halben Zentimeter groß sind und dass wir davon gleich drei in der kurzen Zeit aus dem Rhein entfernt haben. Wir sind Natur und sollten uns bewusster mit uns in diesem Zusammenhang auseinandersetzen. Was der Umwelt schadet, schadet uns. Ein Schulfach „Natur/Wir“ sollte eingeführt werden, um das Bewusstsein zu generieren. Für mich war es sehr interessant zu sehen, wie international die Crew selbst in so einem kleinen Kontext ist, und welche technischen Möglichkeiten Greenpeace hat, um eben solche Aktionen durchzuführen. Zu diesem Thema fand ich besonders interessant den Podcast “40 Jahre Greenpeace – Folge 1: Wie alles begann” zu hören, in dem die Entstehungsgeschichte von Greenpeace höchst unterhaltsam von zwei Gründungsmitgliedern geschildert wird. Dort wird unter anderem die Finanzierung und der politische Einfluss von Greenpeace, auch hinter den Kulissen, angesprochen.“