Martin Kaiser,
Greenpeace Geschäftsführer
Eigentlich sollte die Kohlekommission zur Klimakonferenz in Kattowitz ihren Plan vorlegen. Dann wurde vertagt. Warum?
Wir waren auf einem guten Weg und hätten das schaffen können. Aber dann hatte die Regierung bei dringend wichtigen – auch finanziellen – Zusagen gemauert. Erst dadurch ist diese peinliche und überflüssige Verlängerung nötig geworden. Doch jetzt signalisiert sie ihre Bereitschaft, größere Summen bereitzustellen.
Du triffst auf Greenpeace-Kampagnengegner aus der Wirtschaft. Wie ist das Klima?
Anfangs ist es ungewohnt, mit genau den Leuten zu diskutieren, die wir sonst kritisieren oder bei denen Greenpeace-Aktivisten protestieren. In den Sitzungen debattieren wir extrem kontrovers. Es wird schon mal laut und emotional.
Lange Zeit stand es Spitz auf Knopf, ob die Umweltverbände mit an Bord beiben.
Das hing damit zusammen, dass die nordrhein-westfälische Landesregierung mit den Räumungen der Baumhäuser die Zerstörung des Hambacher Waldes vorbereitete, während die Kommission Maßnahmen diskutierte, mit denen er zu retten wäre. Das war eine massive Provokation. Zum Glück hat ein Gericht den ökologisch wertvollen Wald vorläufig gerettet.
Hat der Dürresommer die Klimadebatte in Deutschland verändert?
Ganz entscheidend sogar. Der Klimawandel ist in der breiten Bevölkerung angekommen, davon zeugen die 50.000 Demonstranten im Rheinland. Tatsächlich hat 2018 jeder Bauer und jeder Binnenschiffer die Auswirkungen des Klimawandels zu spüren bekommen. Im Übrigen auch Kohle- und Atomkraftwerksbetreiber, die Schwierigkeiten hatten, bei niedrigen Pegelständen ihre Anlagen zu kühlen.
Mit der Kommission wart ihr auch bei den Kohlekumpels vor Ort. Wie war das?
Es ist wichtig, mitzubekommen, dass und wie der Strukturwandel die Menschen vor Ort betrifft. Die Kommission hat eine riesige Verantwortung, diesen Leuten eine neue Perspektive zu eröffnen. Sie muss garantieren, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen gibt. Viele Arbeiter werden, bis das letzte Kraftwerk vom Netz gehen wird, ohnehin kurz vor oder bereits im Rentenalter sein. Allen anderen muss sie weiterqualifizierende Maßnahmen, Vorruhestandsregelungen oder alternative Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten. Im rheinischen Braunkohlerevier erzählte mir ein Unternehmer aus der Erneuerbare-Energie-Branche, dass er Schwierigkeiten habe, Fachkräfte zu finden. Das zeigt doch schon, dass der Ausbau der Erneuerbaren viele neue Jobs schafft. Und in der Lausitz braucht ein erfolgreicher Strukturwandel mehr: bessere Bahnanbindungen, schnelleres Internet, neue Forschungseinrichtungen. So kann der Kohleausstieg sozial verträglich gestaltet werden.
Wann soll was konkret passieren?
Aus Sicht der Umweltverbände muss in den nächsten zwei bis drei Jahren die Hälfte der Kraftwerkskapazität reduziert werden, um das Klimaziel 2020 doch noch zu erreichen. Die verbleibenden Kohlemeiler müssten dann schrittweise bis zum Jahr 2030 vom Netz gehen. Wie das geht, hat das Fraunhofer Institut für uns berechnet.
Die Kohlekommission hat über mehrere Monate hinweg getagt. Gab es Momente oder Erlebnisse, die dich verärgerten?
Drei Dinge: der Versuch von RWE und der NRW-Landesregierung, den Protest im Hambacher Wald zu kriminalisieren. Die bedrohliche Demonstration von Gewerkschaftsmitgliedern der IG BCE direkt am Privathaus einer Umweltaktivistin, das ist definitiv nicht hinnehmbar. Und der Mandatsbruch durch die politisch motivierte Verlängerung bis Januar oder Februar.
Hat sich dein Engagement in der Kohlekommission dennoch gelohnt?
Das werden wir sehen. Zentrale soziale Fragen wie der Kohleausstieg brauchen einen breiten gesellschaftlichen Konsens, zu dem natürlich auch die Umweltbewegung gehört. Die Kommission bietet eine riesige Chance, die nötige Übereinstimmung herzustellen.
Wie geht es nach dem Ende der Kohlekommission weiter?
Erstmal müssen wir einen ambitionierten Ausstieg aus der Kohle hinbekommen. Danach würden wir unsere Empfehlungen an die Bundesregierung übergeben. Sie muss dann im Laufe des Jahres 2019 ein Klimaschutzgesetz auf den Weg bringen, in dem der Fahrplan für den Ausstieg aus der Kohle ein zentrales Element ist. Die Bundesregierung hat viel Zeit beim Klimaschutz verloren. Jetzt kann sie zeigen, dass die Modernisierung unserer Wirtschaft weg von Kohle und Öl eine wichtige Investition in den Standort ist. Damit kann sie anderen Industriestaaten ein Ansporn für eine ähnliche Energiewende sein.
Schwarzbuch Vattenfall-Leaks
Nur noch bis Ende 2019 können die Landesregierungen in Sachsen und Brandenburg den schwedischen Energiekonzern Vattenfall für die Renaturierungskosten seiner ehemaligen Braunkohlesparte belangen – und so den Steuerzahler vor der Zahlung von mindestens drei Milliarden Euro bewahren. Das geht aus einem vertraulichen Dokument der schwedischen Regierung hervor, das Greenpeace im Schwarzbuch „Vattenfall-Leaks“ veröffentlichte. Bislang war davon ausgegangen worden, dass alleine der neue Betreiber LEAG für die Folgekosten einstehen muss. „Das deutsche Gesellschaftsrecht enthält eine fünfjährige Haftungsklausel nach Umwandlung – aber darüber redet bislang keiner“, sagt Smid „Diese aktuelle Rechtssituation müssen die Landesbehörden jetzt nutzen, um Sicherheitsleistungen im vollen Umfang gemeinschaftlich von dem heutigen Betreiber LEAG und dem Ex-Betreiber Vattenfall insolvenzsicher einzufordern.“