Jörg, du bist schon seit einem Vierteljahrhundert bei Greenpeace. Was war der Auslöser für dein Engagement für die Umwelt?
Meine Faszination und Liebe zu den Walen. Als ich Anfang der 80er-Jahre einen Fotobericht über russische Walfänger gesehen hatte, wusste ich, dass ich diese Lebewesen schützen will. Ich bin Jahrgang 1960 und mit der Anti-Atomkraft-Bewegung groß geworden. Diese Generation hat erlebt, dass Vernunft und Einsicht nicht ausreichen, die Dinge zu regeln. Man muss dafür kämpfen.
Hast du denn Wale gerettet?
(lacht) Ja, in der Nordsee. Fünf Pottwale hatten sich verirrt und waren kurz davor zu stranden. Wir haben uns mit Booten zwischen Wale und Strand gelegt, um sie daran zu hindern. Drei von ihnen sind tatsächlich abgedreht. Als sie auch anderntags nicht mehr auftauchten, war ich überglücklich. Ein Erfolg für die schnelle Eingreiftruppe von Greenpeace.
Die Alltagsarbeit sieht anders aus?
Ja, allerdings. Dass ich selbst im Schlauchboot sitze, kommt eher selten vor. Einzelaktionen sind gut und wichtig, reichen aber nicht aus, um dauerhaft die Situation für unsere Umwelt zu verbessern. Dafür braucht es Gesetzesänderungen, politische Maßnahmen, Aufklärung und alternative Lösungen.
Klingt nach einem anstrengenden Marathon.
Auch wenn es meist zäh ist, Veränderungen in Politik und Wirtschaft zu bewirken, wir müssen dranbleiben. Schließlich geht es beim Schutz unseres Planeten um die Lebensgrundlagen von uns allen. Und es gibt ja auch viele Erfolge! Der bekannteste in den 90ern ist wohl der Kampf um die „Brent Spar“. Als der Konzern Shell 1995 dachte, er könnte seine ausgediente Plattform einfach im Atlantik versenken, hatte er nicht mit dem Widerstand von Greenpeace und mit der Empörung der Menschen gerechnet. Die Versenkung dieser und aller weiteren Plattformen im Nordostatlantik wurde verboten. Aber, und da sind wir beim Thema Marathonlauf: Was wir in meiner Anfangszeit erreicht haben, steht jetzt schon wieder infrage. 25 Jahre später plant Shell tatsächlich erneut, tausende Tonnen Öl in ausgedienten Plattformen zurückzulassen.
„Auch wenn es meist zäh ist, Veränderungen in Politik und Wirtschaft zu bewirken, wir müssen dranbleiben.“
Du bist im Lauf der Jahre zum Ölexperten bei Greenpeace geworden. Wie kam das?
Als Biologe habe ich gelernt, wie Ökosysteme funktionieren und was sie aus dem Gleichgewicht bringen kann. Wie ich erinnern sich bestimmt noch viele an die Havarie des Öltankers „Exxon Valdez“ 1989 vor Alaska. Die Bilder der ölverklebten Vögel, die in schwarzen Wellen aus zähflüssigem Öl ums Überleben kämpfen, haben sich für immer in meinem Kopf eingeprägt. Eine dort lebende Gruppe von Schwertwalen hat sich bis heute nicht erholt, Heringsschwärme bleiben aus. Die Ölkonzerne nutzen die Meere damals wie heute als Müllhalde und Industriegebiet. Öl ist ein Milliardengeschäft, das nicht davor zurückschreckt, Forscherinnen und Forscher zu kaufen und den Klimawandel zu leugnen. Dieses egoistische Verhalten zu ändern und für den Schutz der Ökosysteme zu Wasser und zu Land einzutreten, treibt mich an.
Ölunfälle begleiten deinen Weg?
Das kann man so sagen. Beispielsweise war ich ein Jahr nach der Explosion der BP-Plattform „Deepwater Horizon“ 2010 im Golf von Mexiko, um zu zeigen, dass längst nicht alle Schäden beseitigt wurden. Im selben Jahr haben wir in der Komi-Region in Russland dokumentiert, dass dort – von der Öffentlichkeit völlig unbemerkt – zigtausende Tonnen Öl die Landschaft und Flüsse verseuchen – und zwar Tag für Tag, Jahr für Jahr, und es passiert so gut wie nichts. Demgegenüber stehen immer wieder tolle Erfolge wie etwa das Ölbohrverbot in einem unserer größten Nationalparks, dem Wattenmeer. Der Ölkonzern Dea wollte hier 2016 neue Ölbohrungen durchführen. Ein Jahr lang hat unser Team dagegen gekämpft, hat informiert und vor Ort protestiert. Am Ende konnten wir das Vorhaben mit einem Rechtsgutachten verhindern. Darüber haben sich übrigens auch die Bürgermeister in der Region sehr gefreut, denn bei einem Unfall wäre ja auch diese wichtige Tourismusregion schwer betroffen gewesen.
Was verändert sich durch die Coronapandemie?
Zu Beginn des Lockdowns gab es plötzlich diese Ruhe und Stille: Keine Flugzeuge, kaum Autolärm. Im Netz kursierten Bilder von Städten vor und nach dem Lockdown. Vorher smogverhangener grauer Himmel, hinterher alles blau und sauber. Die CO2-Werte sanken zum ersten Mal drastisch. Das hat uns allen klar vor Augen geführt, wie sich unser Handeln direkt auf unsere Umwelt auswirkt. Alle konnten sofort die Veränderung sehen. Das macht mir Mut, denn es heißt, dass wir gemeinsam wirklich eine Veränderung schaffen können. Das Besondere an dieser Pandemie ist, dass die ganze Welt gleichzeitig mit derselben Bedrohung zu kämpfen hat und dass das Virus für unser menschliches Auge unsichtbar ist. Das hat es mit der dramatischen, weltweiten Bedrohung durch die Klimakrise gemein. Wir müssen gerade jetzt alles Menschenmögliche dafür tun, um das Ruder noch rumzureißen und die Welt nachhaltiger zu gestalten. Deshalb setzen wir uns bei Greenpeace für einen grünen Marshallplan ein.
Wie wichtig ist dabei für Greenpeace die Unabhängigkeit von Wirtschaft und Politik?
Die Unabhängigkeit von Greenpeace ist die Voraussetzung für alles, was wir tun. Nur dadurch kann Greenpeace auch schwergewichtige Konzerne wie die der Ölindustrie angehen, unter starkem Druck standhaft bleiben und diesen Marathonlauf meistern. Das ist möglich dank unserer mehr als 600.000 Förderinnen und Förderer, über 5000 Ehrenamtlichen und immer mehr Zustifterinnen und Testamentsspendern, die uns bis weit in die Zukunft den Rücken stärken. So schaffen wir gemeinsam, was einer allein nie zustande bringen könnte. Deshalb bin ich weiterhin zuversichtlich, dass auch meine Kinder, vor allem meine kleine Enkeltochter, eine lebenswerte Umwelt haben werden. Dafür werde ich weiterkämpfen.
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