Tödliche Viren

Zoonosen

Die Bedrohung ist selbstgemacht: Pandemien können ihren Ursprung in der Lebensraumzerstörung und Massentierhaltung haben

Singapur, März 1999: Im Laufe eines Tages werden fünf Menschen mit Fieber und Verwirrungszuständen in das „Singapore General Hospital“ eingeliefert. Die Symptome lassen auf eine Gehirnentzündung schließen. Den Ärzten fällt auf, dass alle fünf Patienten Schlachthofarbeiter sind. Bald stellt sich heraus, dass am selben Tag in anderen Krankenhäusern der Stadt sechs weitere Erkrankte behandelt wurden, die ebenfalls in Schlachthöfen beschäftigt sind. Ein Patient stirbt.

Der Verdacht der Ärzte richtet sich auf den Nachbarstaat Malaysia, wo die Schweine für Singapurs Fleischindustrie gemästet werden. Dort grassiert in der Umgebung der Stadt Ipoh bereits seit einigen Monaten eine mysteriöse Gehirnentzündung unter Schweinezüchtern, die bei vier von zehn Opfern tödlich verläuft. Schließlich isoliert ein Forschungsteam aus Gewebeproben ein bis dahin unbekanntes Virus. Sie nennen den Erreger Nipah, nach einem Fluss in der Nähe des Ausbruchsortes. Als die malaysischen Behörden die Epidemie im Mai 1999 für beendet erklären, sind 112 Menschen und mehr als eine Million Schweine tot. Die Tiere, die selbst nur mild erkrankten, wurden zur Seuchenbekämpfung vom Militär gekeult.

Menschen geben Nipah zum Glück nur selten weiter, sonst hätte die Welt wohl bereits vor 20 Jahren eine katastrophale Pandemie erlebt. Nipah ist ein Beispiel für Infektionskrankheiten, die von Tieren auf Menschen überspringen und ohne Vorwarnung, gleichsam wie aus dem Nichts, auftauchen.

Von der Pest bis zum Zika-Virus

Zoonosen, also vom Tier auf den Menschen – aber auch anders herum – übertragbare Krankheiten, sind so alt wie die Menschheit selbst. Manche, allen voran die Pest, veränderten den Lauf der Geschichte. Auch klassische Plagen wie Masern, Pocken, Tuberkulose (allesamt vermutlich von Rindern) und Grippe (von Wasservögeln) waren ursprünglich Zoonosen – wie schätzungsweise 70 Prozent aller humanen Infektionskrankheiten.

Im 20. Jahrhundert kam es vermehrt zu schweren Ausbrüchen zoonotischer Pandemien: Die „Spanische Grippe“ von 1918/19 raffte bis zu 100 Millionen Menschen dahin, sie gilt bis heute als die tödlichste Pandemie aller Zeiten. Wohl in den 1920er-Jahren sprang HIV von Schimpansen auf den Menschen über und ist mit 770.000 Toten im Jahr 2018 nach wie vor eine der tödlichsten Infektionskrankheiten unserer Zeit. Die von Zecken übertragene Lyme-Borreliose trat erstmals 1975 in den USA auf, das tödliche Ebola-Fieber 1976 in Zaire, das mit dem heutigen Coronavirus eng verwandte SARS 2002 in Südchina. 2009 sorgte die „Schweinegrippe“ H1N1 für Aufregung, 2012 ging MERS von Kamelen auf Menschen über, seit 2015 grassiert das Zikavirus in Südamerika, das schwere Missbildungen bei Ungeborenen auslöst. Und diese Aufzählung ist längst nicht vollständig.

Gefährliche Nähe

Der Fall Nipah illustriert besonders deutlich, warum die Abstände schwerer Ausbrüche von Zoonosen immer kürzer werden: Die neuen Seuchen sind auch eine Folge der Umweltzerstörung, insbesondere der Abholzung tropischer Wälder (siehe Seite 23).

„Der Verlust von Wäldern und deren Biodiversität erhöht das Risiko von Zoonosen“, warnt der Greenpeace-Waldexperte Christoph Thies. „Weil die natürlichen Lebensräume von Wildtieren immer kleiner werden, finden einige Arten Nischen in der Nähe von Dörfern und kommen eher mit Menschen und Haustieren in Kontakt. Damit wächst die Gefahr, dass Krankheitserreger, die bei Wirbeltieren natürlicherweise vorkommen, auf Menschen übertragen werden.“

Wie hier in Indonesien werden Jahr für Jahr große Flächen Regenwälder abgeholzt – sie müssen Ölpalmenplantagen weichen
Wie hier in Indonesien werden Jahr für Jahr große Flächen Regenwälder abgeholzt – sie müssen Ölpalmenplantagen weichen

Der malaysische Bundesstaat Perak, wo Nipah erstmals auftauchte, war um 1970 noch in großen Teilen bewaldet. Heute gibt es dort nur noch kleine, isolierte Waldgebiete, Ölpalmenplantagen und Farmen überziehen das Land. Tierarten, die nicht ganz verschwunden sind, leben nun notgedrungen in unmittelbarer Nähe des Menschen – darunter Flughunde der Gattung Pteropus, die sich als Wirte des Nipahvirus herausstellten.

Baum für Baum fressen sich Bagger immer weiter in den intakten Torfmoor-Regenwald der indonesischen Insel Kalimantan vor. Die Heimat vieler Tiere wie etwa Nasenaffen oder Seidelbastgewächse wird zerstört, entwässert, trockengelegt und mit Plantagen bestückt. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2013
Baum für Baum fressen sich Bagger immer weiter in den intakten Torfmoor-Regenwald der indonesischen Insel Kalimantan vor. Die Heimat vieler Tiere wie etwa Nasenaffen oder Seidelbastgewächse wird zerstört, entwässert, trockengelegt und mit Plantagen bestückt. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2013
2019 stand Indonesien in Flammen, Experten zählten fast 2000 Waldbrände. Die Feuer rauben vor allem bedrohten Tierarten wie Orang-Utans ihren Lebensraum.
2019 stand Indonesien in Flammen, Experten zählten fast 2000 Waldbrände. Die Feuer rauben vor allem bedrohten Tierarten wie Orang-Utans ihren Lebensraum.

Es ist kein Zufall, dass Fledertiere bei vielen Zoonosen eine Rolle spielen – sie gelten unter anderem als Quelle von Ebola, SARS und des Coronavirus. Da die Tiere oft zu Tausenden auf engstem Raum leben, hat die Evolution sie mit einem Immunsystem ausgestattet, das Viren wirksam in Schach hält. Daher können diese Viren sehr aggressiv sein, wenn sie auf andere Lebewesen überspringen.

Vermutlich fraßen die Schweine vom Nipah-Fluss Früchte, an denen die vegetarischen Flughunde zuvor geknabbert hatten; vielleicht hatten sich die Fledertiere auch in den Ställen eingenistet. Jedenfalls machten erst die Schweine als Zwischenwirt den Ausbruch der Epidemie möglich, denn anders als Menschen geben sie den Erreger leicht über ihre Nasen- und Rachensekrete weiter. Auf diese Weise konnte sich das Virus in den Schweinefarmen rasant ausbreiten.

Zwei Welten: In der Wildnis verspeist eine Fledermaus eine reife Feige. Auf Märkten wie hier in Kamerun werden Wildtiere gehandelt
Zwei Welten: In der Wildnis verspeist eine Fledermaus eine reife Feige. Auf Märkten wie hier in Kamerun werden Wildtiere gehandelt

Mutationen in Massenställen

Neben der Entwaldung ist die Massenviehhaltung denn auch ein weiterer Faktor, der die Entstehung neuer Zoonosen begünstigt. In den modernen Tierfabriken stehen Schweine, Rinder und Geflügel dicht zusammengedrängt. Erkrankt auch nur ein Tier, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich der gesamte Bestand ansteckt. Je mehr Tiere infiziert sind, desto leichter gelingt dem Erreger der Sprung auf Menschen in der nahen Umgebung.

Auch der Kontakt mit Affen birgt Gefahren. Affen werden als Haustiere gehalten, gejagt und gegessen
Auch der Kontakt mit Affen birgt Gefahren. Affen werden als Haustiere gehalten, gejagt und gegessen

Die Gene verschiedener Virenstämme mischen sich wie Spielkarten in den zusammengepferchten Tierleibern, so dass neue Erreger mit veränderten Eigenschaften entstehen. Auf diese Weise entwickelte sich vermutlich die „Schweinegrippe“ von 2009. Zwar ließ sich das hochansteckende Virus selbst nie in Schweinen nachweisen, doch spricht viel dafür, dass es durch die Kombination des Erbguts zweier Influenzaviren entstand, die diese Nutztiere befallen. Dass Schweine überhaupt an Grippe leiden, die ja ursprünglich von Vögeln stammt, geht höchstwahrscheinlich ebenfalls auf das Konto des Menschen, der Hühner und Schweine auf Bauernhöfen in engen Kontakt brachte.

Besonders gefährlich erscheinen auch die Haltung und der Handel von Wildtieren, an deren Virusinventar die Menschen noch nicht seit Jahrhunderten gewöhnt sind – seien es Pelztiere wie der Marderhund oder Tiere, die mancherorts als Delikatessen gelten. Die sogenannten „wet markets“ Asiens, wo lebende Wildtiere – beispielsweise das Pangolin – unter fragwürdigen hygienischen Bedingungen angeboten werden, sind ideale Brutstätten für Seuchen. Die derzeitige Coronapandemie ging offenbar von einem Fisch- und Wildtiermarkt in Wuhan aus, der Coronavorläufer SARS sprang vermutlich von Schleichkatzen, die in China ebenfalls gegessen werden, auf Menschen über. Niemand weiß, welchen Verlauf heute die Pandemie nehmen wird. Und noch viel weniger vermögen wir genau vorauszusagen, wann, wo und von welchem Tier das nächste tödliche Virus auf den Menschen überspringen wird. Fest steht allerdings, dass die Kombination von Fledermäusen, Waldzerstörung und Massentierhaltung eine tickende Zeitbombe ist – und wir Menschen tragen dafür die Verantwortung.

Das Gegenmittel liegt auf der Hand: „Konsequenter Naturschutz ist eine Lebensversicherung für Mensch und Tier“, sagt Waldexperte Thies.

Autorin: Alexandra Rigos

SARS-Bekämpfung: 2004 werden im chinesischen Guangzhou Schleichkatzen sichergestellt (oben). Pangoline sind bedroht und begehrt: In Asien gelten sie als Delikatesse (unten).
SARS-Bekämpfung: 2004 werden im chinesischen Guangzhou Schleichkatzen sichergestellt (oben). Pangoline sind bedroht und begehrt: In Asien gelten sie als Delikatesse (unten).

WAS UNS VOR ZOONOSEN SChÜTZEN KANN

DIE Abholzung der Regenwälder stoppen

Artenvielfalt schützen

Wildtierhandel einschränken

Massentierhaltung beenden