„Fast Fashion muss aufhören“

Konsum

In Ostafrika landet unser Textilmüll, als Altkleider getarnt. Greenpeace-Ressourcenschutzexpertin Viola Wohlgemuth war vor Ort und berichtet

Fast Fashion ist von Anfang bis Ende ein dreckiges Geschäft. Das sieht man nicht, wenn man bei H&M oder Zara shoppen geht und den grünen Werbeversprechen glaubt. Deshalb hat Greenpeace 2011 die Detox-Kampagne für saubere Kleidung gestartet. Ich war in China und Bangladesch und habe gesehen, wie Textilproduzenten die Flüsse verschmutzen. Und jetzt habe ich mir in Ostafrika das Ende des oft kurzen Lebenszykluses der meist billigen Polyester­kleidung angeschaut, das Ausmaß des Umweltdesasters für Greenpeace dokumentiert und vor Ort mit den Menschen gesprochen.

Von H&M bis Calvin Klein finden sich in Nairobi alle Marken
Von H&M bis Calvin Klein finden sich in Nairobi alle Marken

SCHOCKIERT VON DER MASSE

Ausgangspunkt meiner Recherche war der Hafen von Daressalam in Tansania. Dort kommt ein Großteil der Schiffe an, die mit Altkleidern vorwiegend aus Europa beladen sind. Mit Plastikfolie verschnürt, landen die Alttextilien auf kleinen und großen Märkten in ganz Ostafrika. Ich war von der schieren Menge schockiert, die Leute gehen und stehen buchstäblich auf Kleidern. Bei vielen wurden die Etiketten entfernt, aber du findest alle Marken – Nike, Adidas, Calvin Klein und viele andere. Was noch verwertbar ist, wird verkauft oder upgecycelt. Das ist in Ostafrika ein großes Geschäft. 170 Euro kostet so ein Ballen zum Beispiel in Arusha auf dem Markt, wie viel Verwertbares darin ist, weiß beim Kauf niemand. Bis zu 40 Prozent der Inhalte sind kaputt, unbrauchbar, unverkäuflich. Dieser Textilmüll landet etwa im Fluss Nairobi, der durch die Hauptstadt Kenias fließt. An seinen und vielen anderen Ufern stapelt sich der textile Müll meterhoch, eine getrennte Müllentsorgung existiert nicht. Bei jedem Regen nimmt der Fluss Massen an Stofffetzen, die nichts anderes als Plastikmüll sind, mit sich und spült sie in den Indischen Ozean. Vor zwanzig Jahren, das erzählten mir die Leute vor Ort, sind sie als Kinder noch in diesem Fluss geschwommen und haben sein Wasser als Trinkwasser genutzt. Heute ist er eine schwarzgefärbte, stinkende Kloake, sauberes Wasser gibt es nur noch teuer in Plastikflaschen.

„Weltweit landet jede Sekunde
eine LKW-Ladung Textilien auf Deponien oder wird verbrannt.“

An den Ufern des Flusses Nairobi stapelt sich der Altkleidermüll meterhoch
An den Ufern des Flusses Nairobi stapelt sich der Altkleidermüll meterhoch

ÜBERPRODUZIERT ODER KAPUTT

Mitumba, der kisuahelische Begriff für Ballenware, nennen die Menschen die Altkleider, die ihren Kontinent seit den 1980er-Jahren förmlich überschwemmen. Gegen Secondhand und die Wiederverwertung von Altkleidern hat Greenpeace nichts einzuwenden, im Gegenteil, das ist Teil der Lösung – weg vom Neukauf. Aber was hier massenweise landet, sind zum Teil absichtlich überproduzierte Neuwaren auf der einen und als Secondhand-Kleidung getarnte, nicht mehr verwendbare Textilabfälle auf der anderen Seite. Beides ein Skandal. Was für eine Ressourcenverschwendung, zumal die Textilindustrie schon jetzt bis zu zehn Prozent der globalen Treibhausgase zu verantworten hat. Und was für ein neokolonialistisches Verhalten, unseren Müll und all die damit verbundenen Umweltprobleme einfach in anderen Ländern abzuladen. Ich bin sehr beschämt, als Europäerin Teil dieses Systems zu sein.

Hitze, Gestank, giftige Dämpfe, Schwelbrände: Viele Menschen erkranken – oder kommen in den Flammen um
Hitze, Gestank, giftige Dämpfe, Schwelbrände: Viele Menschen erkranken – oder kommen in den Flammen um

Weiter flussabwärts führte mich meine Recherche zur riesigen Dandoora-Mülldeponie in Nairobi. Dort verschlug es mir buchstäblich den Atem. Du kriegst kaum Luft, und es stinkt nach verkohltem Plastik – die Kleiderberge bestehen zu 70 Prozent aus ölbasierten, synthetischen Fasern. Diesen beißenden Geruch habe ich vier Tage lang nicht aus den Haaren herausbekommen. Überall entzünden sich Schwelbrände, die Leute werden krank davon, verletzt oder sogar getötet. Neben mir freuten sich zwei siebenjährige Jungs, die dort täglich nach Verwertbarem suchen, über eine Mango, die sie zwischen all den Stoffen, Schuhen und Plastikmüll gefunden hatten. Sie haben mir ein Stück davon angeboten. Als Pharmazeutin weiß ich, welche gesundheitsgefährdenden Stoffe sich in der ganzen Umgebung ablagern, es bricht mir
das Herz.

TIPPS FÜR NACHHALTIGEN KLEIDERKONSUM

act.gp/3blmgTk

Noch brauchbare Kleidung aus den Textilballen wird auf lokalen Märkten weiterverkauft
Noch brauchbare Kleidung aus den Textilballen wird auf lokalen Märkten weiterverkauft

„Die Textilien bestehen zu 70 Prozent aus nicht recyclebaren, gemischten Plastikfasern.“

TEXTILMÜLLEXPORT VERBIETEN

Die großen Marken kennen die Probleme, die sie verursachen. Sie wissen, dass ihre Plastikkleiderberge quasi als Sondermüll verbrannt werden und dass sie die betroffenen Gebiete dekontaminieren müssten, das ist ihre Verantwortung. Aber sie machen einfach weiter, beuten Menschen und Ressourcen aus, zerstören für Profite ganze Regionen. Nirgendwo ist das Versagen der Textilindustrie sichtbarer. Fast Fashion muss aufhören. Textilmüllexport muss in die Basler Konvention aufgenommen und somit verboten werden. Wir brauchen eine globale Textilsteuer wie in Deutschland für Plastikverpackungen. Das auf Druck von Greenpeace erreichte Vernichtungsverbot für Neuwaren muss Bundesumweltministerin Steffi Lemke strafrechtlich durchsetzen. Und wir brauchen einen internationalen UN-Textilvertrag ähnlich des Plastikabkommens, das die UN-Umweltversammlung gerade auf den Weg gebracht hat. Die EU-Kommission hat viele notwendige Schritte schon in ihrer Textilstrategie beschrieben, die nationalen Regierungen müssen diese jetzt verbindlich umsetzen.

Und neue Textilien dürfen nur noch hergestellt werden, wenn sie langlebig, giftfrei und recycelbar sind. Ansonsten gilt: Leihen, tauschen, teilen, reparieren, Secondhand muss das neue Normal werden. Bis 2030 sollten zehn Prozent der deutschen Innenstädte für alternative Konsumformen bereitstehen und subventioniert werden. Also Secondhand-Laden statt Zara, Reparaturwerkstatt statt Apple Store. Wer Gebrauchtes trägt, darf und sollte darauf stolz sein, denn das nachhaltigste Kleidungsstück ist immer dasjenige, das nicht neu hergestellt werden muss.

Greenwashing: In den Textilmüllbergen findet sich auch als „nachhaltig“ gekennzeichnete Neuware
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