Wie ist die klimapolitische Lage beim Verkehr?
Dramatisch. Zurzeit ist der Verkehr für rund 150 Millionen Tonnen CO2 verantwortlich, 2030 dürfen es laut Klima-schutzgesetz nur noch 85 Millionen Tonnen sein. Das heißt: Innerhalb von acht Jahren müssen die Emissionen nahezu um die Hälfte runter! Wie der Verkehrsminister das erreichen will, ist bislang völlig offen. Jahr für Jahr addieren sich die Überschreitungen ohne weitere Maßnahmen bis 2030 auf 270 Millionen Tonnen CO2.
Welche Maßnahmen wären notwendig?
Seit Jahren schlagen wir vor, ein generelles Dienstwagenprivileg abzuschaffen und eine Neuzulassungssteuer einzuführen. Und selbstverständlich brauchen wir ein Tempolimit. Wie eine Studie des Umweltbundesamtes kürzlich belegte, würde eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 120 Stundenkilometern auf Autobahnen jährlich 6,7 Millionen Tonnen CO2 einsparen, viel mehr als bisher erwartet. Kosten würde das nichts – aber sofort wirken.
Für Verkehrsminister Volker Wissing ist das alles „Klima-Blabla“, wie er es nennt?
Wissing fährt mit Vollgas in die falsche Richtung. Statt den Individualverkehr zu beschränken, will er ihn ausweiten. Allen Ernstes sollen in Zeiten der Klima-krise in Deutschland 144 Autobahnprojekte beschleunigt gebaut werden. Obwohl wir hier eines der weltweit dichtesten Straßennetze haben.
Stimmt seine Begründung, der Ausbau werde Staus verhindern?
Das ist Quatsch: Wir haben mit einer Studie nachgewiesen, dass breitere Autobahnen zu mehr Verkehr und damit auch zu mehr Staus führen. Aber nicht nur der Verkehr treibt die Emissionen in die Höhe, auch der Bau der Autobahnen selbst – Asphalt, Zement und weitere Baumaterialien verursachen in der Herstellung viel CO2. Zudem wird für den Bau neuer Autobahnen oder zusätzlicher Spuren mit Mooren und Wäldern Lebensraum vernichtet, der viel Kohlenstoff speichert oder speichern kann. Das macht weitere Autobahnen doppelt klimaschädlich.
Der Bundesverkehrsminister beruft sich auf den Bundesverkehrswegeplan …
… der längst überholt ist. Er wurde 2014 erarbeitet, bevor das Pariser Klima-abkommen beschlossen und das Klima-schutzgesetz verabschiedet wurde. Aber es gibt eine Klausel, wonach der Plan regelmäßig überprüft werden muss. Das geschieht gerade. Wir stehen vor der großen Entscheidung, wo die Milliarden des Verkehrshaushaltes investiert werden: Straße oder Schiene.
Die FDP favorisiert die Straße, die Grünen die Schiene. Was sagt die Kanzlerpartei?
Beim Koalitionsausschuss Ende März hat sich die SPD hinter die Straßenpläne der FDP gestellt. Dabei ist unübersehbar, dass nachhaltige Mobilität mit Bus und Bahn viel sozialer ist, als immer mehr Straßen zu bauen.
Wer hat denn in der Ampelkoalition die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich?
Laut einer repräsentativen Umfrage im Auftrag von Greenpeace sind 81 Prozent der Deutschen dafür, den Autobahnausbau zu stoppen, wenn dadurch das Klima geschützt würde Selbst ein solch starkes Meinungsbild perlt an der FDP ab. Minister Wissing ging ja sogar so weit, sicher geglaubten Fortschritt zurückzunehmen – wie etwa das auf EU-Ebene praktisch beschlossene Verbrennerverbot bis 2035. Er hält daran fest, E-Fuels – das sind strombasierte Treibstoffe – künftig in herkömmlichen Autos nutzen zu wollen. Das ist völlig unrealistisch. Wir brauchen E-Fuels für Flugzeuge und Industrien, die sich nicht oder nur schwer elektrifizieren lassen. Aber in Autos wäre dieser Champagner unter den Energieträgern verschwendet. Mit der gleichen Menge Strom fahren E-Autos mindestens fünfmal so weit.
Ist die Bahn die Lösung aller Probleme?
Da gibt es viele gute Ansätze, zum Beispiel den Deutschlandtakt, der eigentlich bis 2030 umgesetzt sein sollte. Auch da bremst die FDP und schiebt das ganze Vorhaben um 40 Jahre auf 2070. Das ist einfach unglaublich! Auch uns ist klar, dass sich die Verkehrswende in ländlichen Regionen nicht von heute auf morgen umsetzen lässt. Die Menschen hängen zu sehr vom Auto ab, auch weil die Bahn in den letzten Jahrzehnten kaputtgespart wurde. Jetzt muss es aber darum gehen, den weiteren Ausbau des Straßennetzes zu stoppen, die Milliardensummen in die Schiene und den öffentlichen Nahverkehr zu investieren und stillgelegte Bahnstrecken zu reaktivieren. Da gibt es großes Potenzial.
Welche Vision für die Mobilität der Zukunft verfolgt Greenpeace?
Angesichts der Klimakrise müssen wir uns fragen, wie viel Autoverkehr wir uns noch leisten können. Entsprechend müssen wir klimafreundliche Mobilität wie Busse, Bahn, Fahrrad- und Fußgängerverkehr fördern. Diese Umstellung tut Klima und Menschen gut: Wo weniger Autos fahren, gibt es weniger Unfälle und Lärm, bessere Luft, mehr Platz und viel mehr Lebensqualität.