Weil die Politik beim Klimaschutz weiter schläft, bremst und verzögert, hat Greenpeace vor einem Jahr zusammen mit drei betroffenen Bauernfamilien die Bundesregierung verklagt. Erstmals in der Geschichte muss sich nun eine deutsche Bundesregierung für ihre Klimapolitik vor Gericht rechtfertigen: Am 31. Oktober verhandelt das Verwaltungsgericht Berlin die Klimaklage. Die Pellwormer Familie – Silke Backsen, ihr Mann Jörg und ihre vier Kinder – wird in Berlin dabei sein, ebenso die Familie Blohm aus dem Alten Land und die Familie Lütke-Schwienhorst aus Brandenburg, die gemeinsam mit ihnen klagen. Die Biobauern von der rundum eingedeichten Nordseeinsel Pellworm haben die Klimaklage mit auf den Weg gebracht, weil die Erderhitzung – das zeigte sich insbesondere nach dem Dürresommer 2018 – ihre Lebensgrundlage existenziell bedroht (wir berichteten in GPN 4.18). Um die Klimapolitik der Bundesregierung zu beschreiben, braucht Silke Backsen nur ein Wort: „katastrophal“. „Als Inselbewohner erleben wir die Folgen der Klimakrise hautnah“, sagt Silke Backsen und erzählt mit welchen Worten ihre Kinder auf den anberaumten Verhandlungstermin reagierten: „Das wurde auch mal Zeit!“
Rundum eingedeicht: Die Nordseeinsel Pellworm liegt etwa einen Meter unter dem Meeresspiegel. Die Biobauernfamilie Backsen baut hier Getreide an, züchtet Rinder und sieht sich durch den Klimawandel existenziell bedroht
Tatsächlich hat zum Beispiel der Kohleausstieg auch neun Monate nach dem Kohlekompromiss noch nicht begonnen, nicht ein Kohlekraftwerk ist bislang abgeschaltet worden. „Mit Blick auf die unübersehbaren Folgen der Klimakrise ist das grob fahrlässig“, sagt Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, denn „wir befinden uns im Klimanotstand“. Auf Pellworm ist dagegen eine Menge passiert. Es gab einen Klimatag an der Schule, sogar der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber war einmal zu einem Vortrag zu Gast.
„jetzt endlich überprüfen die Gerichte die staatliche Pflichterfüllung.“
Seit Wochen bereitet sich die bundesweit bekannte Fachanwältin für Umweltrecht, Dr. Roda Verheyen, intensiv auf den Gerichtstermin vor. Schließlich sitzt niemand Geringerer als die Bundesregierung, die ihre zugesagten CO2-Minderungen von 40 Prozent für das Jahr 2020 weit verfehlen wird, auf der Anklagebank. „Jetzt endlich überprüft ein Gericht die staatliche Pflichterfüllung“, sagt Verheyen. Politikerinnen und Politiker, die ihrer Amtspflicht nicht nachkämen, ergänzt sie, könnten dafür zur Verantwortung gezogen, theoretisch sogar in Ordnungshaft genommen werden.
Die Idylle trügt: Dürresommer und steigender Meeresspiegel gefährden das Leben hinter dem Deich