Überraschungen im eisigen Meer

Antarktis

Expertinnen und Experten zählen auf Greenpeace-Expeditionen Pinguine, erkunden die antarktische Tiefsee und bringen das Eismeer nach London

Mitten auf dem Trafalgar Square rückte die Antarktis plötzlich ganz nah. Dort hatten Greenpeace-Aktive einen vier Meter großen, tonnenschweren Bildschirm aufgebaut. Auf dem Screen watschelten Pinguine, stürzten sich ins Wasser, Forscherinnen und Forscher zählten die Tiere, Wale schossen aus dem Wasser und Eisberge drifteten vorbei. Vier Januartage lang erlebten die Menschen im Zentrum von London mit, was genau im selben Moment auf dem rund 14.000 Kilometer entfernten Kontinent vor sich ging. Der Absender der Liveübertragung war Greenpeace, genauer gesagt: die Crew des Greenpeace-Schiffes „Arctic Sunrise“, die Anfang des Jahres zu Forschungsexpeditionen in die Südpolarregion aufgebrochen war. „Was in der Antarktis passiert, betrifft uns alle“, erklärte Will McCallum, Leiter der Meereskampagne vom britischen Greenpeace-Büro. „Diese Livesendung soll uns daran erinnern, was es zu schützen gilt.“

„Die Antarktis braucht
großflächige Schutz­gebiete ohne jede menschliche nutzung.“

Manfred Santen, Greenpeace-Meeresexperte

Genau das sollte im März 2022 in New York geschehen: Die Weltgemeinschaft tagte, um ein globales Hochseeschutzabkommen zu beschließen. Nur mit einem solchen internationalen Regelwerk ist es möglich, bis 2030 mindestens 30 Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen – das ist notwendig, denn sie sind Verbündete beim Klima- und Artenschutz. Um die UN-Mitgliedsländer unter Druck zu setzen, hat Greenpeace weltweit vier Millionen Unterschriften gesammelt. Allein in Deutschland unterzeichneten bisher fast eine halbe Million Menschen die Petition. Leider kam es im März in New York anders: Die UN haben die historische Chance verstreichen lassen. Die Entscheidung über ein weltweites Hochseeschutzabkommen wurde auf eine weitere Konferenz im August 2022 verschoben.

Passantinnen und Passanten verfolgten am Trafalgar Square in London die Livebilder von der „Arctic Sunrise“ aus der Antarktis
Passantinnen und Passanten verfolgten am Trafalgar Square in London die Livebilder von der „Arctic Sunrise“ aus der Antarktis

Die Antarktis

Der Kontinent Antarktika erstreckt sich vom südlichen Polarkreis bis zum Südpol. Er ist anderthalb mal so groß wie Europa und fast vollständig von einem mächtigen Eispanzer bedeckt. Das Südpolargebiet steuert die Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Ozean und beeinflusst so das Weltklima. Die Klimakrise setzt dem Kontinent massiv zu: Im Februar 2022 wurde ein erneuter Negativrekord des Meereises in der Antarktis vermeldet. Im Inlandeis sind etwa 70 Prozent der weltweiten Süßwasservorräte gebunden. Würden die Eismassen vollständig abschmelzen, hätte das einen Anstieg des Meeresspiegels um rund 60 Meter zur Folge. Die Artenvielfalt in den eisigen Meeren ist überraschend vielfältig. Einzelne Arten kommen in großen Beständen vor: Pinguine, Robben, Wale, Seevögel – und Krill. Die kleine Garnelenart ist zentraler Bestandteil im Nahrungsnetz der Antarktisfauna.

Greenpeace wird sich weiter engagieren. Bis in die 1980er-Jahre reicht die Greenpeace-Geschichte mit der Antarktis zurück. Damals setzte sich die Organisation mit vielen anderen dafür ein, dass die unberührte Natur dort geschützt werden muss. Ende 1986 stach ein Greenpeace-Team in See und errichtete eine Forschungsstation in der Antarktis, um ein Mitspracherecht bei den sogenannten „Weltpark“-Verhandlungen zu erlangen. Tatsächlich krönte 1991 ein visionäres Abkommen das Engagement: das Umweltschutzprotokoll zum Antarktisvertrag. 1998 trat es in Kraft und verbietet die Ausbeutung der Rohstoffvorkommen für fünf Jahrzehnte.

Immer wieder belegten Greenpeace-Teams, dass die antarktische Natur ausgebeutet wird – beispielsweise schert sich die illegale Fischerei bis heute nicht um Schutzgebiete, Wilderer wurden und werden aufgebracht und deren Fang beschlagnahmt. Auch die Klimakrise macht vor dieser einzigartigen Region nicht halt. Im Gegenteil. Kaum ein anderes Gebiet der Welt hat sich so stark erwärmt wie die Antarktis.

Wissenschaftsteams zählten auch mithilfe von Drohnen Pinguine und dokumentierten bei Tauchgängen mit einem Mini- U-Boot die Artenvielfalt in der Tiefe des Polarmeeres
Wissenschaftsteams zählten auch mithilfe von Drohnen Pinguine und dokumentierten bei Tauchgängen mit einem Mini- U-Boot die Artenvielfalt in der Tiefe des Polarmeeres

Die Folgen der Erderhitzung in der Antarktis hat die jüngste Greenpeace-Expedition Anfang 2022 untersucht. An Bord der „Arctic Sunrise“ waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der US-amerikanischen Stony Brook Universität, die per Video live in London zu sehen waren. Sie zählten Adélie-, Esels- sowie Zügelpinguine und stellten fest, dass die Kolonien im Vergleich zu den letzten Erhebungen vor mehr als zehn Jahren stabil geblieben sind. Das bislang weitgehend unberührte antarktische Weddellmeer dient den Vögeln also als Zufluchtsort vor der Klimakrise – damit das so bleibt, muss das Meer unter Schutz gestellt werden.

Die Antarktiskommission CCAMLR verhandelt seit fast einem Jahrzehnt über den Schutz des Weddellmeeres, bislang ohne Erfolg. „Die Antarktis braucht großflächige Schutzgebiete ohne jede menschliche Nutzung, die Regierungen müssen das Weddellmeer und seine Artenvielfalt schützen“, sagt Manfred Santen, Meeresexperte von Greenpeace Deutschland.

Der Schauspieler Damian Hardung begleitete im Januar 2022 den ersten Fahrtabschnitt der Greenpeace-Expedition in die Antarktis. Über seine Kommunikations-kanäle wurden vor allem junge Menschen auf den so dringend notwendigen Schutz der Meere aufmerksam gemacht.

In einem nachfolgenden Fahrtabschnitt galt es, das Leben unter Wasser zu erkunden. Den Tauchgang in einem Mini-U-Boot bestritten die Forschenden auf Höhe des 65. südlichen Breitengrades – eine Premiere, denn aufgrund der Rekordeisschmelze in der Antarktis war dieses Gebiet im Weddellmeer eisfrei.

In der Tiefe machten die Forschenden eine unerwartete Entdeckung: „Dort unten gibt es eine überraschende Vielfalt an Lebewesen, etwa viele verschiedene Korallen und andere sehr verletzliche Spezies“, sagt Dr. Susanne Lockhart, die wissenschaftliche Expeditionsleiterin.

Greenpeace wird diese neuen Erkenntnisse, Bilder und Filme nutzen, um die Antarktiskommission zu überzeugen, dass das Weddellmeer dringend unter Schutz gestellt werden muss. Tausende von Jahren verbarg sich die Tiefseeflora und -fauna im Dunkeln unter dicken Eisschichten. „Jetzt, da das Eis sie nicht mehr schützen kann, muss es die Politik tun“, sagt John Hocevar von der Greenpeace–Meeresschutzkampagne.