Seit Juni haben wir einen globalen Ozeanvertrag. Bis 2030 sollen mindestens 30 Prozent der Ozeane geschützt sein. Uno-Generalsekretär António Guterres sagt: „Der Geist der multilateralen Zusammenarbeit lebt“. Einverstanden?
David Ritter: Die meisten Menschen wollen, dass es der Erde gut geht. Doch vielen Staaten mangelt es an einem Demokratieverständnis als Basis für die multilaterale Zusammenarbeit. Sie verfolgen einen aggressiven Nationalismus.
Iris Menn: Multilaterale Verhandlungen sind anspruchsvoll. Jedes Land verfolgt eigene Interessen. Dazu kommen regionale Besonderheiten. Ich wünschte mir, dass multilaterale Verhandlungen effizienter wären und hoffe, dass viele Länder den Ozeanvertrag rasch ratifizieren und umsetzen.
Von Europa aus gesehen liegt Australien am anderen Ende der Welt. David, welches sind die Kampagnen-Schwerpunkte?
David: Australien ist zwölfmal so gross wie Frankreich und unglaublich vielfältig, mit Regenwald, Wüste, Bergen und dem Meer. Australien ist aber auch der weltweit grösste Exporteur von Kohle. Und beim Export von Öl und Gas gehört das Land zu den Top 5. Auch verbrauchen wir selbst sehr viele fossile Energien. Das wollen wir ändern. Kohle, Gas und Öl gehören der Vergangenheit an. Solar und Wind sind die Zukunft.
Wie soll das gehen?
David: Beispiel Woodside Energy, einer der weltweit grössten Energiekonzerne. Woodside will vor der Küste Westaustraliens neue Gasfelder erschliessen, den Meeresboden in 900 Meter Tiefe grossflächig ausbaggern und unter Wasser hunderte von Kilometern Pipelines verlegen. Die Pipelines würden den Montebello Marine Park durchqueren, eine Brut- und Niststätte von Meeresschildkröten. Wir werden nicht ruhen, bis Woodside sein Vorhaben aufgibt.
Iris: Ob in Australien oder Europa – Woodside ist ein gutes Beispiel für ein Unternehmen, das die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Es ist nicht fünf vor zwölf. Es ist viel später.
David: 1977 war die Rainbow Warrior genau dort unterwegs, wo Woodside jetzt bohren will. Damals protestierten die Menschen gegen den Walfang. Seit einigen Wochen ist die Rainbow Warrior III vor Ort. Nun geht es gegen Woodside. Wir haben einen langen Atem.
Woodside hat über Jahre hinweg Umweltsünden begangen.
David: Im Mai haben Aktivist:innen eine verlassene Ölplattform besetzt. Sie rottet draussen im Meer vor sich hin, 83 Meter lang und 2500 Tonnen schwer. Woodside hätte die Plattform auf Geheiß der Behörden an Land bringen sollen. Passiert ist nichts. Wir haben die Plattform besetzt und ein Banner gehisst: „Woodside, don’t be a Tosser“. Tosser ist ein derbes Slangwort für jemanden, der Müll wegwirft. Es bedeutet aber auch Trottel, Idiot.
Greenpeace Australien/Pazifik koordiniert von Sydney aus die Arbeit für den ganzen Kontinent – und für 18 Inseln, von Fidschi über Guam, Kiribati, Tuvalu, Vanuatu bis Western Samoa. Wie geht das?
David: Erfahrung hilft. Wir haben gegen Atombombenversuche protestiert und gegen den Walfang. Wir haben Menschen vom radioaktiv verseuchten Rongelap-Atoll evakuiert und gegen die Thunfisch-Industrie gekämpft. Heute zeigt sich, dass die Menschen auf den Inseln von der Klimakatastrophe besonders betroffen sind. 2015 war ich das erste Mal auf Kiribati. Ich habe gesehen, wie verletzlich die Insel ist. Große Teile liegen nur zwei Meter über dem Meeresspiegel. Doch die Menschen kämpfen, wie sie es gegen Atombombenversuche getan haben.
Vanuatu hat über 80 Inseln. Dort wohnen 320.000 Menschen. Kürzlich war das Land in den internationalen Schlagzeilen.
David: Vor ein paar Jahren hatten Schüler:innen die Idee einer Klimaklage. Im März fällten die Uno-Mitglieder einen wegweisenden Entscheid: Der Internationale Gerichtshof in Den Haag muss prüfen, wer auf internationaler Ebene für die Versäumnisse beim Klimaschutz haftbar ist. 132 Nationen und 1500 Nichtregierungsorganisationen haben die Klage unterstützt. Ich bin überzeugt, das ist erst der Anfang.
Iris: People’s power versetzt Berge. In der Schweiz haben wir die Abstimmung zum Klimaschutzgesetz gewonnen. Die KlimaSeniorinnen haben vor der grossen Kammer des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs geklagt. Die Staatengemeinschaft hat den Ozeanvertrag verabschiedet. Diese Erfolge machen Hoffnung.
David: Große historische Veränderungen verlaufen nicht linear, sondern in Sprüngen.
David, du bist Jurist und seit 2012 Geschäftsleiter von Greenpeace Australien/Pazifik. Iris, du leitest Greenpeace Schweiz seit 2018 und bist Meeresbiologin. Wer ist besser für den Job qualifiziert?
David: Ich traf Iris das erste Mal vor 16 Jahren auf dem Bahnhof in Amsterdam. Ich hatte gerade meine Stelle als Anwalt in London aufgegeben und bei Greenpeace UK als Meerescampaigner angefangen. Iris war damals schon ein paar Jahre bei Greenpeace. Sie hat mich zwischen den Gleisen gefragt, weshalb ich zu Greenpeace gegangen sei. Eine sehr gute Frage.
Iris: Ein naturwissenschaftlicher Hintergrund kann nützlich sein für die Arbeit bei Greenpeace, genauso wie eine juristische Ausbildung oder etwas ganz Anderes. Der Ozeanvertrag hat über 400 Artikel in denen es um den Schutz der Meere geht. Gut, dass Greenpeace beides hat, Jurist:innen und Meeresbiolog:innen.
David: Greenpeace UK hat mir vor Stellenantritt das Buch «The End of the Line» in die Hand gedrückt. Autor ist der Umwelt-Journalist Charles Clover. Das Buch handelt von der Überfischung. Clover beschreibt die desaströsen Praktiken der Fischereiindustrie und plädiert für einen nachhaltigen, lokalen Fischfang. Mir war klar: Greenpeace gibt mir die Chance, die Welt besser zu machen. Daran arbeite ich, zusammen mit vielen Anderen.
Interview: Roland Gysin, Greenpeace Schweiz