Das Rind muss an die frische Luft

Landwirtschaft

Weidehaltung ist gut für die Kuh, das Klima und die Artenvielfalt – deshalb fordert Greenpeace von der Politik eine Förderung dieser artgerechten Haltung

Wenn im Frühling die Stalltore aufgehen, galoppieren Rinder wie auf unserem Foto mit Freudensprüngen auf die Weiden. So sie dürfen. Dieses Glück ist längst nicht allen vergönnt, nur in der Bio-Landwirtschaft ist Weidehaltung Pflicht. In Deutschland grasen lediglich 31 Prozent der Kühe auf Weiden. Tendenz sinkend. Vor allem in Süddeutschland müssen sie das ganze Jahr über in engen Ställen verbringen, manche fristen ihr Dasein sogar ohne jegliche Bewegungsfreiheit, angebunden an Ketten. „Das ist laut unserem Rechtsgutachten tierschutzwidrig“, sagt Lasse van Aken, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace.

Lasse van Aken, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace
Lasse van Aken, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace
Einblick in die industrielle Milchwirtschaft: Auf diesem Karussell werden rund 70 Kühe gleichzeitig vollautomatisch gemolken
Einblick in die industrielle Milchwirtschaft: Auf diesem Karussell werden rund 70 Kühe gleichzeitig vollautomatisch gemolken

Dass die Weidekuh in Deutschland inzwischen eine geradezu bedrohte Art ist, hat viele negative Auswirkungen – auf die Tiere, die Biodiversität und das Klima. „Die Weidehaltung würde viele Probleme auf einmal lösen“, sagt van Aken und fängt beim Tierwohl an: Kühe sind Steppentiere, Weiden sind ihr natürlicher Lebensraum, wo sie Gras und Pflanzen finden, sich bewegen können, ausreichend Platz haben und ihr Immunsystem gestärkt wird. Doch dann wurden sie eingesperrt. Die Zucht verwandelte die Vierbeiner in krankheitsanfällige, auf Kraftfutter angewiesene Hochleistungsmaschinen. Und Weiden degenerierten zu kräuter- und blühpflanzenarmem Grasland, das mit schwerem Gerät inzwischen bis zu sechsmal im Jahr gemäht wird.

Womit wir bei der Artenvielfalt wären: Weiden gehören zu den artenreichsten Biotopen Deutschlands. Doch wenn aus der Weide überdüngtes Grünland wird, gehen mit jedem Schnitt wertvolle Arten verloren. Pflanzen haben zwischen den Mahden kaum Zeit zu erblühen und sich zu vermehren. Ihrem Verschwinden folgen Käfer, Amphibien – und mit ihnen Vögel. Beim Kuhfladen, auch Insektenhotel genannt, wird das Artensterben sichtbar: In diesem Hort der Biodiversität tummelte sich einst eine Vielzahl von Larven, Käfern und Fliegen. Heute ist er – aufgrund der verabreichten Antiparasitenmittel – oft nur noch ein steinharter, toter Haufen.

Kurz nach der Geburt werden Kälber in solchen Einzelboxen gehalten. Die kuhgebundene Aufzucht ist bislang eine Seltenheit
Kurz nach der Geburt werden Kälber in solchen Einzelboxen gehalten. Die kuhgebundene Aufzucht ist bislang eine Seltenheit

Die dunkle Seite der Milchwirtschaft

Um ununterbrochen viel Milch geben zu können, müssen Kühe jedes Jahr ein Kalb gebären. Viele der männlichen Kälber werden schon zwei Wochen nach der Geburt in die Niederlande verkauft, dort werden sie in wenigen Monaten mit niedrigen Standards gemästet: Sie sehen kein Tageslicht, stehen auf Vollspaltenböden, erhalten prophylaktisch Antibiotika. Das Kalbfleisch landet wieder auf unseren Tellern. Zehn bis 20 Prozent der Tiere überleben die Aufzucht nicht. Mehr dazu

Was sich seit Urzeiten nicht geändert hat: Die Wiederkäuer stoßen beim Rülpsen und Pupsen das bei der Verdauung entstandene Klimagas Methan aus. Damit wären wir beim Klima: Kühe sind also Klimakiller? Van Aken schüttelt den Kopf und setzt zur Ehrenrettung der Kuh an: „Diese Tiere bringen so viele Vorteile mit sich, sie können Gras in Lebensmittel umwandeln, sie düngen den Boden und fördern die Artenvielfalt, im Dauergrünland wird viel mehr Kohlenstoff gespeichert als im Acker.“

Für ihn ist nicht das Nutztier an sich das Problem, sondern die große Zahl und die Haltung der Tiere. „Wir sollten nur noch so viele Kühe halten, wie auf der vorhandenen Weidefläche gehalten und ernährt werden können“, fordert er. In dem Fall wird aus der vermeintlich klimaschädlichen eine klimaschonende Kuh, denn beweidetes Grünland ist – nach den Mooren – der größte Kohlenstoffspeicher!“

Die aktuelle Politik treibt meine Milchkühe von der Weide in den Stall.

Ottmar Ilchmann, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft AbL

Konsequente Weidehaltung würde einiges ändern: Es gäbe weniger, aber qualitativ bessere Milch (Hier finden Sie die Ergebnisse der Milchanalyse) – tatsächlich ist der Milchverbrauch im vergangenen Jahr um mehr als sechs Prozent gesunken. Auf Wiesen grasten Zweinutzungsrinder, die sich für die Milch- und Fleischproduktion eignen, wie etwa Fleck- oder Braunvieh – robuste und standortangepasste Rassen. Es braucht dringend eine bundesweite Weideprämie, die gibt es bislang nur in einigen Bundesländern, sagt van Aken. Der Weg zur Weidehaltung wird nicht einfach werden, weil diese Umstellung eine Kehrtwende für die ganze Milchwirtschaft mit sich bringt – bisher führen Produkte aus Weidemilch im Supermarkt ein Nischendasein. Umso entschlossener fordert Greenpeace Landwirtschaftsminister Cem Özdemir auf, die Weidehaltung stärker zu fördern, faire Preise für Milchprodukte sicherzustellen und die Nutztierhaltungsverordnung entsprechend zu gestalten. Bisher gibt es in Deutschland für die Rinderhaltung keinerlei Vorgaben, das ist quasi ein rechtsfreier Raum. Die Ampelregierung – so steht es im Koalitionsvertrag – will diese Lücke schließen, geschehen ist aber noch nichts. Helfen Sie mit Ihrer Unterschrift, Druck auf die Politik zu generieren:

Bundesweiter Aktionstag zum Unterschied zwischen Milch aus Weide- oder Stallhaltung
Bundesweiter Aktionstag zum Unterschied zwischen Milch aus Weide- oder Stallhaltung
Grasende Rinder auf der Reichstagswiese in Berlin – mit dieser Aktion sorgten Greenpeace und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft für mediale Aufmerksamkeit. Vor dem Weidegang befreiten Freiwillige das Terrain von Müll
Grasende Rinder auf der Reichstagswiese in Berlin – mit dieser Aktion sorgten Greenpeace und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft für mediale Aufmerksamkeit. Vor dem Weidegang befreiten Freiwillige das Terrain von Müll

Transparenz bei Milchsiegeln

Welche Milch stammt von Kühen aus guter Haltung? Greenpeace hat alle gängigen Milchkennzeichnungen auf ihre Haltungsstandards untersucht und die Ergebnisse in einem Einkaufsratgeber veröffentlicht. In Ampelform gibt er eine schnelle Orientierung am Kühlregal, bestellt werden kann er auch im Visitenkartenformat fürs Portemonnaie. Klar ist: Pflanzliche Milch ist eine leckere und günstige Alternative. Wer Milch von Kühen trinken möchte, die so leben, wie es die Werbung verspricht, sollte Weidemilch in Bioqualität kaufen.

Zu bestellen hier:  greenpeace.de

oder per Telefon: 040/30618-120