Trotz großer Hitze zwängt sich Lucas Schmitz in seinen Trockenanzug, zieht die Flossen über und schultert seine schweren Pressluftlaschen. Kurz darauf verschwindet er in der Anfang Juni noch kalten Ostsee. Der Greenpeace-Taucher hat eine besondere Mission: In elf Metern Tiefe liegt das 16 Meter lange U-Boot „Euronaut“, ausgestattet mit einer Druckkammer. Lucas soll durch eine kleine Luke ins U-Boot hinein- und wieder hinausgelangen. Die Minuten vergehen, bis Lucas Kopf wieder die Wasseroberfläche durchbricht. Er spreizt Zeige- und Mittelfinger und alle verstehen: Das Manöver hat geklappt. Da lässt sich schon der nächste Froschmann ins Wasser plumpsen.
„Fehler können Tödlich sein“
Keine zwei Seemeilen vor Klintholm Havn, einem kleinen Ort auf der dänischen Insel Møn, stellen die ehrenamtlichen Greenpeace-Taucher ihr Können unter Beweis. Jedes Jahr trifft sich die etwa 30-köpfige Gruppe zu einem einwöchigen Training. „Es ist wichtig, dass die Leute Praxis bekommen und sich kennenlernen, denn beim Tauchen muss sich im Ernstfall jeder auf seine Partnerin oder seinen Partner verlassen können. Wenn du da unten einen Fehler machst, kann das tödlich sein“, sagt Rolf Christoleit, der Leiter der Tauchergruppe, besser bekannt als Rolli.
Er sitzt mit im Schlauchboot, verständigt sich per Funk mit der Schiffsbesatzung der in der Nähe ankernden „Beluga“ und beobachtet die Pressluftblasen an der Oberfläche, die den Standort der Taucher anzeigen. Mindestens 150 Tauchgänge muss man vorweisen, um bei Greenpeace als Taucher einsteigen zu können. „Kletterer und Schlauchbootfahrer bilden wir von der Pieke auf aus“, sagt Rolli „bei Taucherinnen und Tauchern können wir das nicht leisten, die müssen schon sehr erfahren sein, wenn sie zu uns kommen.“
„Du bekommst einen Hammer, eine Säge, zwei Holzlatten, einen Stechbeitel und einen Nagel und sollst am Grund, wo du allenfalls zehn Zentimeter weit siehst, ein Kreuz zusammenzimmern.“
Jürgen Summa aus Rellingen ist einer der Neuen, die im Frühjahr beim Greenpeace-Aktionslager in Hamburg-Wilhelmsburg vom Steg sprangen. „Du bekommst einen Hammer, eine Säge, zwei Holzlatten, einen Stechbeitel und einen Nagel und sollst am Grund, wo du allenfalls zehn Zentimeter weit siehst, ein Kreuz zusammenzimmern“, sagt der 59-Jährige. In einem Moment der Unaufmerksamkeit ist Jürgen das Holz prompt entwischt – das passiert fast allen Aspiranten. Im zweiten Anlauf hat es geklappt. Zusammen mit Jürgen haben 13 Neulinge die „Aufnahmeprüfung“ geschafft und sind nun Teil des Teams.
Urlaub fürs TauchTraining
„Normalerweise geht ein Taucher nicht ins Wasser, wenn er keine Sicht hat“, erklärt Rolli, „bei Greenpeace ist das anders, deshalb dürfen die Leute keine Angst vor Schwarzwasser haben und müssen das immer wieder üben.“ Bei vielen Einsätzen war der ehemalige Kampfschwimmer selbst dabei: Im Lauf der Jahre hat die Gruppe zum Beispiel bei Bornholm Geisternetze geborgen, in der Ostsee Proben für die Untersuchung der Nitratbelastung genommen, vor den Ostfriesischen Inseln havarierte Container mit Giftstoffen gesucht und nachgewiesen, dass sich an den Felsbrocken, die Greenpeace-Aktivisten 2008 vor Sylt versenkt hatten, schnell neues Leben ansiedelte.
„Normalerweise geht ein Taucher nicht ins Wasser, wenn er keine Sicht hat“
Verschwitzt, müde und hungrig gehen die Taucher an Land, während Rolli – wie so oft – die Wetterlage prüft. „Das war’s mit dem Ententeich“, sagt er in die Runde und alle ahnen, dass stürmischer Wind aufkommen wird – ausgerechnet von Osten, der einzigen ungeschützten Seite der Bucht. Ob anderntags wie geplant Wrackerkundungen möglich sein werden, bleibt fraglich, denn in Wellenbergen ist die Gefahr zu groß, Taucher zu verlieren, weil man sie nicht mehr sehen kann.
Für Trainings und Einsätze nehmen die Unterwasseraktivistinnen und -aktivisten Urlaub. Sie kommen aus Dresden, Hannover, Oldenburg, Bremen, Stuttgart und dem Ruhrgebiet und sind Sport- oder Forschungstaucher, bei der Marine oder bei der Feuerwehr.
Viele haben – wie Lucas – auch schon als Tauchlehrer gearbeitet. Die Meere hätten ihn schon als kleinen Jungen fasziniert, ganz besonders die Haie, erzählt der 33-Jährige, der vor ein paar Jahren von Portugal nach Hamburg gezogen ist. „Ich freue mich über jeden Fisch, den ich sehe, und versuche, ihn nicht zu erschrecken“, erzählt Lucas. Er hat sich angewöhnt, bei jedem Tauchgang Plastikmüll mit hochzunehmen. Eine Aktion mit Vorbildcharakter: Seine Tauchschülerinnen und -schüler machen es ihm nach.
„Ich freue mich über jeden Fisch, den ich sehe, und versuche, ihn nicht zu erschrecken“
Carsten Standfuß, Ingenieur und Schiffsbauer aus Rostock, macht sich trotz stürmischer Böen mit seinem 60 Tonnen schweren U-Boot anderntags wieder auf den Weg ans deutsche Ufer. Für ihn hat sich mit dem Tauchtraining ein Kreis geschlossen, denn schon Anfang der 1980er-Jahre war Carsten bei der ersten Greenpeace-Aktion gegen die Dünnsäureverklappung dabei. Nach so langer Zeit würde er gerne mal wieder für Greenpeace aktiv sein – diesmal mit seinem U-Boot. Zum Beispiel beim Aufspüren von gefährlichen Wracks in Nord- und Ostsee.