Interview

„Tiefseebergbau darf niemals starten“

Greenpeace-Meeresexperte Till Seidensticker über die politischen Dimensionen der geplanten Rohstoffausbeutung am Grund der Ozeane

Till, wem gehört die Tiefsee?

Die Tiefsee ist das gemeinsame Erbe der Menschheit. Genau gesagt, geht es um den Grund aller Weltmeere jenseits der sogenannten ausschließlichen Wirtschaftszone. In den küsten-nahen Gebieten bis 200 Seemeilen verfügen die Länder über das alleinige Hoheitsrecht. Überall sonst gilt das internationale UN-Seerechtsübereinkommen, das mehr als 160 Staaten Anfang der 1980er-Jahre unterschrieben haben. Darin ist festgelegt, dass die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) für die Tiefsee zuständig ist. Artenvielfalt und Schutz der Ökosysteme spielten damals noch keine große Rolle, den an der ISA beteiligten Ländern ging es vor allem um die Rohstoffausbeutung – an diesem neokolonialen Denken hat sich bis heute leider nichts Wesentliches geändert.

Wird die Behörde die Ausbeutung also auf jeden Fall befürworten?

Es gibt Staaten, die am liebsten gleich morgen mit dem Abbau beginnen wollen. Dazu gehört beispielsweise Norwegen – im eigenen Hoheitsgebiet will das Land bald schon loslegen, da muss die Regierung wie gesagt nicht auf die ISA warten. Eine wachsende Gruppe von Ländern, derzeit sind es 24, will den Prozess hingegen verhindern oder verzögern. Sie befürworten ein Moratorium oder treten – wie Deutschland – zumindest für eine so genannte vorsorgliche Pause ein. Bisher ist die Tiefsee zwar die größte, aber auch am wenigsten erforschte Ökoregion der Erde. Jedenfalls will die ISA bis 2025 einen Regelkatalog ausarbeiten, der Kriterien für den Abbau festlegt. Genau diese Zeit wollen die Umweltverbände nutzen, um ein verbindliches Moratorium durchzusetzen.

Ist es möglich, mithilfe eines starken Regelwerkes einen schonenden Abbau zu gewährleisten?

Nein. Jeder Eingriff zerstört diesen extrem empfindlichen Lebensraum. Laut einer Studie von Nature braucht das Ökosystem Jahrtausende, um sich wieder zu erholen, weil dort unten in der Finsternis alles nur sehr langsam vor sich geht. Deshalb darf der Tiefseebergbau niemals starten.

Wer sind die Treiber des Tiefseebergbaus?

Unternehmen wie das kanadische The Metals Company, die mit dem Versprechen eines großen Zukunftsgeschäfts Risikokapital einsammeln. Dreist ist dabei vor allem, dass sie den Tiefseebergbau als Klimaschutz verkaufen – sie behaupten, dass wir die Metalle vom Meeresgrund für die Energiewende brauchen. Aber das stimmt nicht, wie wir in einer Studie nach-gewiesen haben. Wenn wir eine echte Kreislaufwirtschaft betreiben und unseren Konsum reduzieren, ist die Transformation auch ohne die Rohstoffe vom Meeresboden zu schaffen. Zumal sich die Batterietechnologie rasant entwickelt – schon jetzt ist eine Abkehr von Lithium zu beobachten.

Stimmt es, dass Manganknollen radioaktiv sind?

Manganknollen haben eine natürliche Radioaktivität und setzen zudem das radioaktive Gas Radon frei. Damit hätte ihr Abbau nicht nur schwere ökologische Folgen für die Tiefsee, er birgt auch gesundheitliche Gefahren für die Arbeiter:innen.

Gibt es denn eine realistische Chance, die Tiefsee zu schützen?

Ja klar. Die Menschen in Papua-Neuguinea haben es vorgemacht: Seit 2009 leistete die Bevölkerung  zivilen Widerstand gegen das Vorhaben des Tiefseebergbauunternehmens Nautilus, vor der Küste des Landes die Tiefsee auszubeuten. Mit Erfolg: Nach zehn Jahren musste das Unternehmen Insolvenz anmelden. Um die Zerstörung des Meeresgrundes global zu verhindern, müssen wir viele Regierungen überzeugen.