Ein Landzipfel macht den Menschen in Zittau zu schaffen – und zwar der ihres Nachbarlandes Polen. Mitten in diesem schmalen Streifen, der bis zum Dreiländereck im Süden Sachsens ragt, reißen gigantische Braunkohlebagger die Erde auf. „In den Dörfern an der Abbruchkante herrscht an manchen Tagen ein wahnsinniger Lärm, da kannst du dich nur schreiend unterhalten“, sagt Rafael Cordeiro von der Greenpeace Gruppe Oberlausitz.
Seit seiner Gründung 2017 kämpft das 15-köpfige Team in Zittau für Frieden, eine Mobilitäts- und Agrarwende, vor allem aber gegen den Betreiber der Braunkohlemine Turów, den staatlichen Energiekonzern PGE: Zusammen mit Greenpeace Polen und Tschechien und weiteren NGOs organisierten die Ehrenamtlichen Menschenketten durch den Grenzfluss Neiße und Protestfahrten mit über 50 Kanus. „Auf der polnischen Seite ging es heiß her, da gab es eine Gegendemo von Kohle-arbeitern“, erzählt Bettina Schwoerer. Auch auf der deutschen Seite sind die Menschen gespalten. Die einen leiden gesundheitlich oder beklagen Schäden an ihren Häusern. Andere sagen am Infostand: „Ohne Kohle gehen wir unter.“ Die Zittauer Aktiven müssen sich einiges anhören – etwa auch in punkto VW: „Im ländlichen Raum sind die Leute halt aufs Auto angewiesen“, sagt Bettina. Anfeindungen stehen sie in der 25.000 Einwohnerinnen und Einwohner großen Stadt zusammen durch, motivieren sich gegenseitig – und heißen neue Leute herzlich willkommen.
Im Herbst waren einige der Neiße-Anrainer bei einer internationalen Messe der Rückversicherer in Baden-Baden. „Da haben wir nicht nur viele Gleichgesinnte aus anderen Ländern getroffen, sondern auch einen neuen Hebel für unsere Arbeit kennengelernt“, berichtet Clas Busack, der Biologe im Team. Die Rede ist davon, nicht nur politischen Druck auf die Kohlekonzerne auszuüben, sondern ihnen finanziell das Wasser abzugraben: „Wir fordern die Versicherer jetzt in regelmäßigen Abständen auf, keine Kohleprojekte mehr zu versichern.“
Bis die Bagger jenseits der Grenze ruhen, dürfte es aber noch eine Weile dauern. Die Genehmigung für den Tagebau in Turów läuft noch bis 2044, seit Mai 2020 verstößt der Tagebau gegen EU-Recht. In der Region um Zittau sind die Gruben mittlerweile mit Wasser geflutet. So sollen die einstigen Tagebaue zu Seen und Naherholungs-gebieten werden.