Was dringend getan werden muss, um den CO2-Ausstoß auf ein für die Erde erträgliches Maß zu senken, wissen wir: Kohleverbrennung stoppen, Verkehrswende einleiten, deutlich weniger Fleisch essen, um nur einige Beispiele zu nennen. Doch um die Erderwärmung, wie in Paris beschlossen, auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, reicht all das womöglich nicht mehr aus. Deshalb stellt sich immer drängender die Frage: Wie können wir Kohlendioxid, mit dem wir die Atmosphäre überlastet haben, binden? Eine wesentliche Rolle spielen dabei die Wälder. Um deren Entwicklung bis zum Jahr 2102 zu simulieren, hat Greenpeace Deutschland vom Öko-Institut in Freiburg eine „Waldvision“ modellieren lassen. Das Ergebnis: Der Wald hilft zwar schon jetzt dem Klimaschutz – doch er könnte noch viel mehr dafür leisten.
Deutschland emittiert derzeit pro Jahr rund 900 Millionen Tonnen CO2. Würden die Wälder naturnah und ökologisch genutzt, wie es die Greenpeace-Studie beschreibt, könnten sie pro Jahr mehr als 56 Millionen Tonnen C02 aufnehmen und auf lange Sicht binden.
Das „Basis-Szenario“
Für die Studie haben die Wissenschaftler die Daten der letzten beiden Bundeswaldinventuren (2002 und 2012) genutzt, um in einer Computersimulation drei Szenarien für die Zukunft des Waldes durchzuspielen. Das „Basis-Szenario“ setzt voraus, dass der Wald in Deutschland weiterhin so bewirtschaftet und ähnlich stark genutzt wird wie bisher. In einem zweiten Szenario, das die Holzwirtschaft umsetzen möchte, steigt der Einschlag, die Nutzung des Waldes wird also noch intensiver. Das Greenpeace-Szenario „Waldvision“ sieht dagegen vor, ökologisch wertvolle Wälder konsequent vor dem Holzeinschlag zu schützen und die restlichen Wälder naturnah und ökologisch zu bewirtschaften – wie es beispielsweise im Stadtwald Lübeck seit langem vorbildlich umgesetzt wird. Dadurch würde sich nicht nur der Holzvorrat erhöhen. Bis Ende des Jahrhunderts könnte der Wald in Deutschland auf diese Weise dreimal so viel CO2 in der lebenden Biomasse binden wie bei der intensiven Bewirtschaftung.
„Das zeigt: Je natürlicher der Wald in Deutschland wächst, desto produktiver wird er langfristig“, erklärt Christoph Thies, Waldexperte bei Greenpeace. Auch ihn hat das Ergebnis überrascht: „Dass sich der Wald durch moderate Veränderungen so natürlich entwickeln kann und die Speicherleistung ökologisch bewirtschafteter Wälder so viel höher ist, haben wir nicht erwartet.“
Die positiven Effekte auf das Klima haben allerdings Konsequenzen: Das „Waldvision“-Szenario bedeutet eine Reduzierung der Holzernte über die Jahre durchschnittlich um rund 25 Prozent. Um dies zu erreichen, schlägt Thies vor, die ökologische Waldwirtschaft mit ökonomischen Anreizen zu fördern.
Außerdem müssten wir die Nutzungsweise von Holz überdenken: Den Verbrauch von Wegwerfprodukten aus Holz, wie zum Beispiel Papier oder Pappbecher, gelte es drastisch zu senken. „Wir müssen die Effizienz deutlich steigern“, sagt der Waldexperte. Erst als letzte Option und wenn sie mehrfach verwendet wurden, sollten Produkte aus Holz verbrannt werden. Intelligent genutzt, davon ist Thies überzeugt, könne die Ressource Holz zu einem klimafreundlichen und zukunftsfähigen Material werden.
Die Waldvision lässt sich auch auf andere Länder übertragen. Weltweit ist die Fläche der vom Menschen genutzten Wälder 200-mal so groß wie in Deutschland. „Aus globaler Sicht bekommt das Speicherpotenzial noch mal eine ganz andere Dimension“, sagt Thies. Deshalb steht diese Studie für ihn nur am Anfang eines ambitionierten, aber machbaren Weges. „Die Argumente für ein Umsteuern in der Waldpolitik liegen angesichts der wachsenden Erfordernisse von Klima- und Artenschutz auf der Hand.“ Das Potenzial der Wälder für den Klimaschutz muss genutzt werden!