Eckardt Heukamp schlendert über seine abgemähten Felder. Es könnte seine letzte Ernte sein. Bis Redaktionsschluss harrt der Bauer im Dorf Lützerath aus. Alle anderen sind schon weg, Häuser abgerissen und Bäume gefällt. Er will nicht weichen. Von seinem alten, unter Denkmalschutz stehenden Hof aus sieht er die riesigen Bagger jeden Tag näher rücken, die Schaufelräder fressen den fruchtbaren Boden. Knapp 200 Meter sind es nur noch bis zur Abbruchkante des Braunkohle-tagebaus Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen.
Heukamps Hoffnung ruht auf den Gerichten – der Landwirt klagt gegen die Enteignung durch den Energiekonzern RWE. Und auch auf den wachsenden Protesten. Seit über einem Jahr hat sich Lützerath zu einem Zentrum der Klimabewegung entwickelt. Aktivistinnen und Aktivisten bauen Baumhäuser, organisieren Festivals und verwandeln den Ort in ein Widerstandsdorf. Ende Oktober 2021 demonstrieren rund 5000 Menschen gegen die geplante Erweiterung des Braunkohletagebaus und die drohende Zerstörung. Greenpeace ist Teil des Protests: Seit Monaten harren Aktive mit einer Mahnwache Tag und Nacht vor Ort aus. Am selben Tag, als in Glasgow die Weltklimakonferenz begann, rollten 35 Greenpeace-Aktive in den frühen Morgenstunden eine 150 Meter lange, von Feuer gesäumte Stoffbahn aus. Damit zogen sie eine symbolische rote Linie zwischen dem Dorf und der Grube und platzierten darauf den Schriftzug: „1,5 °C Limit“. „Vor Lützerath müssen die Bagger stoppen, wenn Deutschland seinen Beitrag zum 1,5-Grad-Limit noch einhalten will“, erklärt Bastian Neuwirth, Klimaexperte bei Greenpeace. Genau das hat zuvor eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung berechnet.
Um weiter Druck auf die Ampel-Koalition zu machen, übergaben Greenpeace-Aktive Anfang November zusammen mit dem Bündnis „Alle Dörfer bleiben“ zwei Petitionen mit insgesamt knapp 150.000 Unterschriften für ein Abrissmoratorium und den Erhalt der Dörfer. Einzig die FDP verweigerte die Annahme.
„Wenn wir hier unser Zuhause verlieren, werden auch viele andere Menschen in der Welt aufgrund der extremen Klimafolgen ihr Zuhause verlieren“, sagt Tina Dresen aus einem Nachbarort von Lützerath, die sich bei dem Bündnis engagiert. Sie bleibt kämpferisch. Genauso wie Neuwirth: „Wir sind eine starke Klima-bewegung. Was wir im Hambacher Wald geschafft haben, werden wir auch hier schaffen“, sagt er, „Lützerath ist der Lackmustest für eine pariskompatible Klimapolitik.“
Der Druck zeigt Wirkung: Tina Dresen kann aufatmen, ihre Heimat Kuckum und vier weitere Dörfer will die Koalition erhalten und den Kohleausstieg „idealerweise“ auf 2030 vorziehen. Ein Etappensieg für die Klimabewegung! Aber auch die Kohle unter Lützerath muss im Boden bleiben, doch diese Entscheidung überlässt die Politik den Gerichten.
Eckardt Heukamp sitzt vor seinem historischen Hof. Die ältesten Gebäude stammen aus dem Jahr 1763. Seine Familie besitzt den Hof in vierter Generation. Er hat noch nicht aufgegeben, wenngleich RWE immer wieder versucht, ihn mürbe zu machen. Dabei wissen zum Erstaunen des Landwirts trotz Medien-berichten viele Menschen – selbst in der nahen Region – nicht, was gerade in Lützerath passiert: dass mitten in der Klimakrise Menschen enteignet und ein Dorf abgebaggert werden soll – im Namen des Allgemeinwohls! Umso mehr freut es Heukamp, dass immer mehr Menschen nach Lützerath kommen. „Ohne die mediale und persönliche Unterstützung wäre das alles nicht denkbar. Deshalb lade ich alle ein, hierher zu kommen und Widerstand zu leisten. Die Zeit ist reif.“